Audis elektrische Bodenrakete

Endlich mal wieder richtig tief sitzen und nicht nach gut 200 Kilometern an die Ladesäule müssen: Mit dem e-tron GT schlägt Audi mit Hilfe von Porsche ein neues E-Mobilitätskapitel auf.

Von den Böllinger Höfen ans Schwabinger Tor: Der e-tron GT - hier als RS-Version. | Foto: G. Soller
Von den Böllinger Höfen ans Schwabinger Tor: Der e-tron GT - hier als RS-Version. | Foto: G. Soller
Christine Harttmann
(erschienen bei VISION mobility von Gregor Soller)

Der e-tron GT überrascht in Natura mit einer Kompaktheit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte: Immerhin haben wir fast fünf Meter Sportcoupé vor uns, und die Abmessungen entsprechend fast auf den Millimeter denen des Taycan. Dem Designer entgeht auch nicht die Basis, denn die Proportionen sehen prinzipbedingt sehr ähnlich, doch optisch hat Audi bis auf den Ausschnitt hinter dem Vorderrad fast alles massivst geändert.

Das sitzen: Eher R8 als A8

Gott sei Dank nicht die bodennahe Sitzposition, die viel mehr R8 als e-tron-SUV ist. Innen duftet er gewohnt edel nach „Audi-Arztpraxis“ und erweitert die digitale Bedienstrategie um markentypische Haptik wie zum Beispiel die bekannte Klima-Bedieninsel. Die Ergonomie stimmt auch hier und die Sitze umfassen einen ebenso wie im Taycan wie ein eng sitzender Lederhandschuh, auf Wunsch natürlich vegan und mit Recyclingmaterial. Neben der Standard-Achtwegeeinstellung kann man sich auch 14- oder gar 18-fach verstellbare Vordersitze ankreuzen. Schade, dass auch der Audi keine große Heckklappe bietet – das hätte ihn deutlich variabler gemacht: Aber eine solche Konstruktion hätte mehr gewogen und die Steifigkeit massiv in Bedrängnis gebracht – weshalb man den Rohbau gewichtsintensiv hätte verstärken müssen. Und hier geht es nun mal um jedes Gramm!

Tricky: das Temperaturmanagement

Der Akku ist hier die „große Doppelstockvariante“ mit 85 kWh netto, respektive 93 kWh brutto) samt aufwendiger Kühlung, um „Raketenstarts“ notfalls auch zehn mal wiederholen zu können. Dabei sorgen Strangpress-Profile die mit Kühlmittel durchströmt werden, um die Zellen nicht zu heiß werden zu lassen. Insgesamt verlegt man in den Bollinger Höfen zu Neckarsulm vier separate, koppelbare Kühlkreisläufe, womit man die Temperaturen des Heißsporns im Zaum hält. Dazu nutzt man auch die Wärmepumpe um Abwärme in den Innenraum zu leite oder die Klimatisierung wird auch für den Hochvoltbereich genutzt. All das bringt wieder ein paar Kilometer extra Reichweite. Zu der tragen auch der cW-Wert von 0,24 bei, natürlich verschließbare Kühlklappen und Räder mit Aeroblades und maximal 265 kW Rekuperationsleistung. Von den anderen Audis kennt man zudem en prädikativen Fahrassistenten, der sich Fahrstrategie und Streckenführung optimiert – idealerweise natürlich bei aktivierter Routenplanung. Nach WLTP sollen so bis zu 487 Kilometer drin sein, wovon in der Realität allerdings eher 350 plus minus x übrig bleiben. Und wie das schnelle fahren übernimm der e-tron GT auch das schnelle Laden vom Taycan: Mit 800 Volt Technik und bis zu 270 kW DC-Ladeleistung – deutlich mehr als beim e-tron (SUV), der sich mit auch schon üppigen 150 kW „begnügt“. So soll es in einer knappen halben Stunde von 20 auf 80 Prozent Akkukapazität gehen, womit selbst Hamburg-München mit zahmem fahrpedal und zwei Ladestopps zu machen wäre oder für Langstreckenfahrer anders ausgedrückt: 100 Kilometer Reichweite kosten bis 80 Prozent Kapazität rund fünf Lademinuten.

Die Leistung: Mehr als genug mit Respektabstand zu den Turbo-Taycanen

In Sachen Leistung fahren die Audis zu Beginn dezent unter Taycan Turbo und Turbo S, heißt: 598 PS Systemleistung beim hier stehenden Fotofahrzeug RS, 476 PS bei der „Basis“. Auch bei den Preisen bleibt man entsprechend „unter“ dem Technikspender: Der GT startet bei 99.800 Euro brutto, das sind knapp 83.900 Euro netto, während der RS ab 138.200 Euro beginnt, was knapp 116.150 Euro sind. Vorn bietet die E-Maschine 238 PS hinten je nach Modell 435 oder 456 PS auf – im Boost lässt sich das natürlich kurzzeitig erhöhen: Dann stehen 530 respektive 646 PS zur Verfügung, unser RS-Fotowagen fährt dann 830 Newtonmeter auf. Dann schießt es unseren RS notfalls binnen 3,3 Sekunden auf 100 km/h. Und auch der E-Tron GT hat natürlich die Zweigangbox, welche auf zügig gefahrener Langstrecke Strom sparen hilft. Akustisch agiert Audi dabei ähnlich wie Porsche und erzeugt hier einen künstlich-aggressiven Klang, um RS-Fans nicht zu sehr auf Entzug zu setzen. Dazu erden mehrere Parameter herangezogen und die Boxen strahlen den Sound nach innen und außen ab.

Quattro sorgt für Grip, aber das Leergewicht liegt auch hier nördlich der zwei Tonnen

Auch dem Audi merkt man seine gut zwei Tonnen Leergewicht allenfalls in schnellen Wechselkurven an, je enger, desto stärker. Dagegen stämmen sich Dreikammer-Luftfederung und Adaptivdämpfer, die bei Bedarf auch permanent die Karosseriehöhe trimmen – generell ist auf schnellen Passagen jedoch immer der Strom sparendere Tiefflug-Modus angesagt, was den e-tron GT eben zur Bodenrakete macht. Und weil Audi bei den Powermodellen auch immer „quattro“ ist, grippen auch hier vier Räder nach Traktion, unterstützt durch eine „klassische“ Quersperre an der Hinterachse. Die man in Neckarsulm noch mal ausdifferenziert hat: Beim Basismodell setzt man auf fixe Parameter, beim RS ist sie variabel elektronisch geregelt. Das Ergebnis kennt man vom Taycan: Kein Traktionsverlust und keine Chance, den Kopf gegen die Fliehkräfte zu halten – der GT schießt einen wie eine Kanonenkugel voran, was der RS noch krasser tut.

Das Fahrwerk: Tief (f)liegt immer gut

Klar, dass auch die Bremsen zupacken samt rekuperativer Verzögerung über den Generator für vorausschauendes fahren. Dann bremst der e-tron GT mit bis 0,3g und man kann auf die Zangen in en Rädern verzichten. Die den Wagen notfalls in kürzester Zeit brutal einbremsen, mit klar definiertem Druckpunkt. Wie beim Porsche dürften auch hier die Stahlscheiben reichen, man kann aber auch Wolfram-Karbid oder Keramik ordern). Dazu sorgt die Allradlenkung auch hier für ein Fahren wie auf Schienen und kaschiert die Größe. Im Gegensatz zum Taycan verzichtet Audi auf die aktiven Stabilisatoren, trotzdem liegt auch der e-tron GT satt auf der Straße ohne auf Restkomfort gänzlich zu verzichten. Da kommt dem Audi seine per se tieffliegende Grundhaltung mitniedrigem Schwerpunkt entgegen, dazu viel Alu im Fahrwerk und große Räder. In der Praxis fallen diese „Abstriche“ zum Taycan eher gar nicht auf – Audi hat hier ein sehr dichtes und optisch kompaktes E-paket geschnürt.

Was bedeutet das?

Der e-tron GT kann A8-, RS-7- und R8-Fans in Versuchung führen. Er wird kein Riesenvolumenbringer werden, doch in seiner Nische gegen Tesla und Taycan die Marke weit nach vorne fahren. Für Audi ein richtiges Auto zur richtigen Zeit, auch wenn das „Unterzeug“ 50 Kilometer südlich davon aus Zuffenhausen stammt.

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