Auf Parkplätzen abgestellte Lkw sind nachts leichte Beute für Diebe

Der Bremerhavener Student Andreas Gießler hat ein System entwickelt, das Langfinger vertreiben soll: Es schlägt Alarm, wenn versucht wird die Plane aufzuschlitzen. Gießler hat inzwischen ein Patent auf die Erfindung angemeldet. Nun interessiert sich auch eine Versicherung dafür.

Die Alarmanlage kann auch nachträglich auf die Lkw-Planen angebracht werden. Foto: WFB/Focke Strangmann
Die Alarmanlage kann auch nachträglich auf die Lkw-Planen angebracht werden. Foto: WFB/Focke Strangmann
Bert Brandenburg

Die Täter sind organisiert in Banden und kommen meist nachts im Schutz der Dunkelheit. Auf Autobahnparkplätzen oder Autohöfen schneiden sie Schlitze in die Planen der dort abgestellten Lastwagen, während die Fahrer schlafen. So verschaffen sie sich einen Überblick, welche Ware geladen ist und ob sich ein Diebstahl mithilfe eines größeren Lochs lohnt. Beliebt sind nach Angaben des Bundesamtes für Güterverkehr Elektronikartikel, Baumaterial, Werkzeuge oder Lebensmittel – Hauptsache, die Beute lässt sich schnell absetzen und zu Geld machen. Der Bremerhavener Student Andreas Gießler hat sich zum Ziel gesetzt, es den Dieben so schwer wie möglich zu machen.

VR-Award für die innovativste Lösung

Der 33-Jährige hat eine Plane entwickelt, die laut Alarm schlägt, sobald sie mit einem Messer aufgeschlitzt wird. Potenzielle Diebe werden so abgeschreckt, die Fracht verliert ihre Attraktivität. „Jeder Kleinwagen hat inzwischen eine Alarmanlage, aber ein Lkw nicht“, sagt Gießler. Im Februar 2017 gründete er sein Start-up-Unternehmen in Geestland bei Bremerhaven und ließ sich anschließend seine Idee patentrechtlich schützen. Seine Erfindung schlägt hohe Wellen, vor kurzem bekam er den in der Logistikbranche bekannten VR-Award für die innovativste Lösung in der Kategorie Publikumspreis. „Im Finale hat sich die Alarmplane gegen BMW und Fressnapf-Logistik durchgesetzt“, erzählt Gießler stolz.

Präparierter Plane ist von außen nichts anzusehen

Was die Branche begeistert, ist eine bis zu 1,50 Meter hohe PVC-Plane, auf die ein engmaschiges Drahtgeflecht genäht ist. Die Kabel sind mit einer fahrzeugunabhängigen Steuerbox verbunden, über die ein schriller Signalton ertönt, sobald ein Leitungsdraht durchtrennt wird. Durch den ausgelösten Alarm sollen die Diebe in die Flucht geschlagen werden. Angebracht wird die Plane auf der Innenseite der vorhandenen Lkw-Aufliegerplane, sodass sie von außen nicht zu sehen ist. „Sie wird einfach aufgeschweißt, dadurch bleibt die Plane flexibel“, so Gießler. Das Prozedere dauert pro Lkw rund 90 Minuten.

Gießler kennt sich aus in der Transportbranche. Er ist gelernter Speditionskaufmann, hat zehn Jahre in dem Beruf gearbeitet. Um auf der Karriereleiter weiter aufsteigen zu können, beschloss er, auch ohne Abitur an der Hochschule Bremerhaven, Transportwesen und Logistik zu studieren. „Mit einer speziellen Prüfung ist das möglich“, sagt Gießler.

Versicherungsgewerbe schätzt Schäden auf 1,3 Milliarden Euro

Im dritten Semester wurde er auf einem Kongress zum Thema Risikomanagement mit dem verbreiteten Phänomen des Planenschlitzens konfrontiert. Das Bundesamt für Güterverkehr nimmt an, dass die Fälle von Ladungsdiebstählen jedes Jahr bundesweit in einem hohen vierstelligen Bereich liegen. Die Dunkelziffer ist allerdings hoch, weil nicht alle Vorfälle gemeldet werden oder in die Statistik einfließen. Das deutsche Versicherungsgewerbe schätzt den Schaden für das Jahr 2016 auf 1,3 Milliarden Euro. Dazu entstehen laut Bundesamt für Güterverkehr volkswirtschaftliche Kosten durch Verzögerungen und Produktionsausfälle in Höhe von weiteren 900 Millionen Euro.

Nachrüstbares System in Anlehnung an eine Erfindung von Ferrari

Andreas Gießler wunderte sich damals auf dem Kongress, dass Spediteure dem organisierten Klau angesichts dieser Zahlen trotzdem offenbar nichts entgegenzusetzen hatten. Er recherchierte im Internet und stieß auf ein interessantes Patent von Ferrari: In seinen Cabrioverdecken näht der Autohersteller zur Diebstahlssicherung ein Geflecht aus Drähten ein. Sobald es beschädigt wird, löst der Alarm aus. Gießler entwickelte ein ähnliches System für Lastwagen. „Ich biete eine nachrüstbare Lösung für Lkw an“, sagt er. Ab 1.500 Euro kostet der Umbau für einen Standardauflieger. Sein Studium hat er inzwischen zugunsten seiner Firma hintenangestellt.

Spediteure hoffen auf Eindämmung des Schadens

Weltweit agierende Spediteure testen inzwischen die Alarmplane in ihren Lastwagen. Fahrzeuge mit Planen sind aus Kostengründen deutlich mehr auf den Straßen unterwegs als solche mit festen Kofferaufbauten. Wenn sich das Alarmsystem für sie bewährt, wollen sie es dauerhaft einsetzen. Bereits überzeugt von der Alarmplane ist die Helvetia Versicherung. Sie will deshalb eine Kooperation mit Andreas Gießler eingehen. „Er hat ein überzeugendes Konzept entwickelt“, lobt Helvetia-Sprecher Klaus Michl. Die Technik sei einfach, kostengünstig und biete eine optimale Diebstahl-Prävention. Nach einem Schlitz könne die Plane instandgesetzt und wiederverwendet werden. Bis zu drei Jahre wartungsfreie Lebensdauer hat die Alarmplane, dann müssen die Batterien getauscht werden, verspricht Unternehmensgründer Gießler.

Großer Kostendruck in der Branche

Mit Diebstählen aus Lkw hat Helvetia als Versicherung immer wieder zu tun. „Eine Steigerung der Fälle ist definitiv da“, sagt Michl. Eine extreme Tat wurde der Versicherung 2016 gemeldet, als eine Ladung Tablets aus einem Fahrzeug entwendet wurde. „Der Schaden lag bei über einer Million Euro“, berichtet Sprecher Michl. Das Kriminalitäts-Problem werde auch bei den Spediteuren ernst genommen. Allerdings herrsche in der Branche hoher Kostendruck. „Es gibt beleuchtete und bewachte Parkplätze, aber die sind relativ teuer. Deshalb werden sie nicht so häufig angefahren“, sagt Michl. Nur einige Elektronikhersteller würden auf solche Stellplätze bestehen, wenn ihre Ware geladen ist. Geht es den Auftraggebern aber vor allem um einen niedrigen Preis, werden trotz der Gefahr unbewachte Parkplätze angefahren.

Transportunternehmen bekommen Förderung für Sicherungssysteme

Die Zurückhaltung einiger, vor allem kleinerer Spediteure in Bezug auf die Alarmplane kann Andreas Gießler deshalb nicht nachvollziehen. Sie schreckten vor den Umbaukosten zurück, obwohl sie das seiner Ansicht nach gar nicht müssten. „Die Spediteure bekommen 80 Prozent der Ausgaben über Förderprogramme des Bundes zurück“, betont Gießler. Der Rest komme über die geringeren Versicherungsprämien wieder herein. „Wenn das Risiko sinkt, sinkt auch die Prämie. Nach elf Monaten haben sich die Kosten amortisiert“, meint Gießler. Auch Helvetia plant geringere Versicherungsbeiträge für die Spediteure, die die Alarmplane einsetzen. „Wir gehen davon aus, dass sie einen wirkungsvollen Abschreckungseffekt hat“, begründet Michl.

Potenzielle Täter wurden bereits vertrieben

Dass das tatsächlich so ist, hat Gießler schon erlebt: „Wir hatten jetzt schon drei Fälle, in denen versucht wurde, Planen aufzuschlitzen und wo die Täter vertrieben werden konnten. In einem Fall wurde ein Tatverdächtiger verhaftet.“ Dass er auf dem richtigen Weg ist, wird ihm aber auch durch eine ganz andere Entwicklung verdeutlicht, die er so ganz und gar nicht erwartet hätte: Ständig muss er sich mit Nachahmern auseinandersetzen, die ebenfalls Alarmplanen auf den Markt bringen wollen. Sein Patentanwalt hat gut zu tun.

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