Automatisiertes Parken: Daimler und Bosch starten Pilotprojekt in Stuttgart
Wie von Geisterhand gesteuert gleitet die fahrerlose Mercedes-S-Klasse die engen Parkhauswendeln hoch und macht in einer flüssigen Bewegung am Drop-Off-Punkt Halt. "Wir haben das am Anfang bewusst langsamer gestaltet, auch um gegen alle Eventualitäten gewappnet zu sein und die Leute nicht zu verschrecken mit der Technologie", merkt Projekt-Ingenieur Carsten Hämmerling bei unserer Vor-Ort-Visite an. Langsam? So selbstbewusst wird im Alltag kaum ein Benz-Fahrer das 5,20-Meter-Schiff durch das enge 70er-Jahre Parkhaus pilotieren. Wobei natürlich die neue Hinterachslenkung tüchtig mithilft, die Kurven elegant zu nehmen, wie Hämmerling nicht vergisst anzumerken. Technologisch sei man so weit, meint Hämmerling und verweist auf die akkurat positionierten High-Res-Kameras in den Decken und die üppige Sensor- und Kommunikationstechnik im Fahrzeug.
Komplexe Prozesse im Hintergrund
Es ist faszinierend von Hämmerle zu hören, was da alles im Hintergrund an Information und Kommunikation läuft, damit der Prozess für den Nutzer so flutscht, wie bei der Demonstration an diesem Montag Morgen. Kaum zwei Minuten dauert es von der Order per App bis zum Eintreffen des Wagens, dessen schlängelnden Lauf durchs Parkhaus man auf den Mobiltelefon verfolgen kann. Wo es noch hapert, ist an den rechtlichen Belangen. Schließlich handelt es sich hier um einen Gefahrenübergang vom Menschen auf die Maschine respektive das System. "Das muss reifen und braucht noch etwas Zeit, bis es Standard wird", meint Hämmerle, der aber stolz ist, dass sie im ehrwürdigen Betonriegel in Plieningen schon mal vorfahren, weltweit ziemlich einzigartig, wie er betont.
Apropos ehrwürdig: Ob sich in Anbetracht der engen Parkhausszenerie die Hoffnung erfüllt, dass man deutlich mehr Fahrzeuge unterbekomme, wenn man sie robotisiert parkt, lässt Hämmerle mal dahingestellt. "Wo eine Säule ist, ist eine Säule", meint er. Und davon gibt es nicht zu knapp in der vielstöckigen und engen Anlage.
Im 70er-Jahre-Parkhaus zur Serie reifen
Bereits im letzten Jahr avisiert, haben Bosch, Mercedes-Benz und der Parkraumbetreiber Apcoa jetzt ihr Pilotprojekt für fahrerloses und vollautomatisiertes Parken am Flughafen Stuttgart gestartet und anlässlich der Vorstellung der neuen S-Klasse erstmals die Funktion demonstriert. Dafür soll das von Bosch und Mercedes-Benz entwickelte Automated Valet Parking (AVP) zur Serienreife gebracht werden. Sie ist das weltweit erste Serienfahrzeug mit der notwendigen Technik an Bord für einen künftigen infrastrukturbasierten AVP-Betrieb. Das Unternehmen spricht bei dieser Sonderausstattung von der Vorrüstung für den Intelligent Park Pilot.
„Mit der neuen S-Klasse wird nicht nur das Fahren, sondern selbst das Parken zum Luxus“, erklärt Michael Hafner, Leiter Automatisiertes Fahren der Mercedes-Benz AG.
Als Pilotparkhaus für den geplanten Serienbetrieb des automatisierten Parkservice dient das P6 am Flughafen Stuttgart. Dort erproben die Unternehmen das Zusammenspiel der Fahrzeugtechnik der S-Klasse mit der intelligenten Infrastruktur von Bosch sowie der digitalen „Flow“-Plattform von Parkraumbetreiber Apcoa. Dank dieser Plattform funktioniert der Parkvorgang komplett ohne Ticket und Bargeld.
„Gemeinsam wollen Apcoa, Bosch, Mercedes-Benz und der Stuttgarter Flughafen das Parken zum vollautomatisierten Parkerlebnis machen“, wirbt Christoph Hartung, Mitglied des Bereichsvorstandes von Connected Mobility Solutions bei Bosch.
Aktuell laufen im Flughafenparkhaus die Vorbereitungen zum Start des geplanten Pilotbetriebs von Automated Valet Parking. Ziel des Testbetriebs am Flughafen Stuttgart mit neuen S-Klasse Fahrzeugen ist es, das reibungslose Zusammenspiel von Fahrzeug, Infrastrukturtechnik und Parkhausbetreiber zu erproben und optimal auf den Kunden anzupassen, heißt es.
Weltweit erste Level 4-Parkfunktion in einem Serienfahrzeug
Im Juli 2019 hatten Bosch und Mercedes-Benz die weltweit erste Ausnahmegenehmigung für einen AVP-Betrieb ohne Sicherheitsfahrer mit ausgewählten E-Klassen im realen Parkhaus-Mischverkehr des Mercedes-Benz Museums in Stuttgart erhalten. Die neue S-Klasse ist als erstes Serienfahrzeug mit der AVP-Technologie ausgerüstet und kann somit fahrerlos parken. Voraussetzung dafür ist aber, dass künftig mit der erforderlichen Infrastruktur ausgerüstete Parkhäuser verfügbar sind und der nationale Gesetzgeber diesen AVP-Betrieb erlaubt. Das Fahrzeug sei damit zugleich weltweit das erste mit einer Vorrüstung für eine Fahrfunktion der zweithöchsten Autonomiestufe nach SAE, Level 4.
„Mit Automated Valet Parking zeigt Mercedes-Benz, dass automatisiertes Parken bald zur Realität gehören wird“, glaubt Hafner.
Für die neue Art des Parkens per Knopfdruck wird direkt hinter der Einfahrt des Parkhauses P6 ein sogenannter Drop-off- und Pick-up-Bereich eingerichtet. Im Pilotparkhaus kommen anstelle der bisher eingesetzten LIDAR-Sensoren erstmals neue Videokameras von Bosch zum Einsatz, die freie Parkplätze erkennen, den Fahrkorridor sowie dessen Umfeld überwachen und Hindernisse oder Personen auf der Fahrspur erfassen. Die Informationen der Kameras machen es sogar möglich, dass die Autos eigenständig innerhalb des Parkhauses fahren können – auch auf engen Rampen, was den Wechsel zwischen verschiedenen Stockwerken möglich macht. Beim fahrerlosen Parken am Flughafen Stuttgart soll künftig auch die digitale Plattform „Flow“ vom Parkhausbetreiber Apcoa eine entscheidende Rolle spielen.