Corona: DLR-Umfrage sieht ÖPNV als Verlierer - Auto als Gewinner

Umfangreiche Studie ergänzt die frühere Befragungen und zeigt, dass sich neue Routinen verfestigen: Das Auto wird viel häufiger genutzt, Öffis viel weniger. Die Verkehrswende rückt dadurch in weitere Ferne.

Geht zu wie am Stachus, aber in der ganzen Stadt: So wie in München legte auch in ganz Deutschland der motorisierte Individualverkehr im Herbst und Winter massiv zu, selbst früh nachmittags. | Foto: J. Reichel
Geht zu wie am Stachus, aber in der ganzen Stadt: So wie in München legte auch in ganz Deutschland der motorisierte Individualverkehr im Herbst und Winter massiv zu, selbst früh nachmittags. | Foto: J. Reichel
Christine Harttmann
(erschienen bei VISION mobility von Johannes Reichel)

Das Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat in einer aktuellen Analyse einen klaren Trend zur häufigeren Auto-Nutzung und dem eigenen Auto im Zuge der Corona-Pandemie ermittelt. Zugleich hätte der ÖPNV deutlich an Zuspruch verloren und ein "Wie davor" werde es wohl nicht geben, dämpfte das Institut die Erwartungen. Es stelle sich vielmehr die Frage, wie eine "neue mobile Normalität" aussehen werde, erklärte DLR-Direktorin Barbara Lenz gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Sie glaubt zudem:

"Im Ausnahmezustand erprobte Verhaltensweisen haben sich eingeprägt und beeinflussen neue Routinen".

Sie konstatierte eine "Rückbesinnung auf individuelle, weniger nachhaltige Verkehrsmittel, sieht das eigene Auto als klaren Gewinner in der Pandemie und glaubt, der Weg zur Verkehrswende sei durch die Krise weiter geworden.

„Von der normalerweise in dieser Jahreszeit ansteigenden Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist dieses Jahr nichts zu spüren. Stattdessen scheinen sich autoorientierte Alltagsroutinen zu verfestigen", bilanzieren die DLR-Verkehrsforscherinnen. 

Von Ende November bis Anfang Dezember befragten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DLR zum dritten Mal rund 1.000 repräsentativ ausgewählte Personen für eine umfassende Studie. Wie bei den ersten beiden Umfragen im Frühjahr und Sommer 2020 interessierten sie sich für das Mobilitätsverhalten in den Bereichen Arbeit, Freizeit, Einkaufen und Reisen.

„Erneut haben wir Veränderungen festgestellt: Der Reiseverkehr an Weihnachten wird voraussichtlich um rund die Hälfte zurückgehen. Der Trend zum Online-Shopping bleibt bestehen – und der dramatische Rückgang bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel setzt sich fort“, fasst Claudia Nobis vom DLR-Institut für Verkehrsforschung die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

Deutlicher Einbruch beim Weihnachtsreiseverkehr

Die überwältigende Mehrheit von 80 Prozent gibt an, über die Feiertage nicht verreisen zu wollen. Nur acht Prozent planen eine Reise, fünf Prozent waren zum Zeitpunkt der Befragung unsicher. Sechs Prozent wussten unabhängig von der Corona-Pandemie noch nicht, wo sie Weihnachten verbringen.

„Bleiben alle Unentschlossenen zu Hause, sinkt das Reiseaufkommen im Vergleich zu den letzten Jahren um 60 Prozent. Aufgrund des verschärften Lockdowns Mitte Dezember ist ein erheblicher Rückgang sehr wahrscheinlich“, erläutert DLR-Forscherin Claudia Nobis.

Ob eine Reise zu Weihnachten geplant ist, hängt stark vom Verhalten im Vorjahr ab. Wer im Jahr 2019 verreiste (22 Prozent), will auch 2020 unterwegs sein. Je jünger die Befragten sind, umso höher ist der Anteil mit Reiseabsichten: 19 Prozent bei den unter 29-Jährigen, hingegen nur zwei Prozent bei den über 65-Jährigen.

Trend zum Online-Shopping beeinflusst Mobilität

Corona wirke sich nach wie vor stark auf das Einkaufsverhalten der Deutschen aus, so die Feststellung. Der Anteil der Personen, die seit dem ersten Lockdown im Frühjahr Produkte im Internet kaufen, steigt weiter. 50 Prozent gaben an, in den letzten vier Wochen ein bis drei Mal online bestellt zu haben. 36 Prozent tun das wöchentlich. Nur 14 Prozent haben nichts bestellt. Gleichzeitig sei die Zahl der Befragten, die sich beim Einkaufen in Geschäften unwohl fühlen, seit Sommer gestiegen. Auch beim Kauf von Weihnachtsgeschenken sei das Internet wichtiger als im Vorjahr: 37 Prozent erklärten, ihre Präsente größtenteils online zu kaufen. Im Vorjahr waren es 22 Prozent.

Trends verstetigt: Auto versus Öffis

Das Mobilitätsverhalten sei geprägt von Routinen. Diese wiesen selbst in der Krise eine hohe Stabilität auf. Allerdings beobachte man, dass sich in der anhaltenden Corona-Situation auch neue Routinen bildeten, bilanziert Claudia Nobis.

„Dazu gehört, dass immer mehr Menschen den privaten PKW nutzen – und zwar unabhängig vom normalen jahreszeitlichen Anstieg im Winter. Gleichzeitig setzt sich der dramatische Rückgang bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel fort“.

Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmenden legten weniger Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Der Anteil an Personen, die sogar viel weniger Wege mit den Öffentlichen zurücklegen, sei auf 37 Prozent gestiegen, 16 Prozent mehr als im Sommer. Der Hauptgrund dafür liege darin, dass das Unbehagen in öffentlichen Verkehrsmitteln wieder zugenommen habe, so die Analyse. Das Auto verzeichne hingegen nach wie vor einen deutlichen Wohlfühlfaktor.

Noch mal deutlich weniger Wege

Während des Lockdowns im November hätten die Befragten ihre Mobilität nochmals deutlich reduziert, stellten die Forscher fest. 56 Prozent hätten in den letzten sieben Tagen weniger oder viel weniger Wege zurückgelegt als sonst üblich. Zum ersten Mal hat das DLR die Befragten um eine Einschätzung gebeten, welche Verkehrsmittel sie in Zukunft nutzen werden.

„Die Antworten spiegeln sehr deutlich das während der Pandemie entwickelte neue Verhalten wider“, erläutert Nobis.

18 Prozent wollten mehr zu Fuß gehen, sechs Prozent mehr Fahrrad fahren und neun Prozent mehr das Auto nutzen. 19 Prozent gaben an, den öffentlichen Nahverkehr seltener nutzen zu wollen.

Homeoffice und Freizeit mit Veränderungen

Das Arbeiten von zu Hause spiele nach wie vor eine wichtige Rolle. Der Anteil der Berufstätigen im Homeoffice sei weiter leicht gestiegen: 40 Prozent der Befragten arbeiten teilweise oder immer von daheim. Auch in eher ländlich geprägten Regionen scheine dies zuzunehmen, in Städten werde generell mehr im Homeoffice gearbeitet. Die Zufriedenheit mit dem Arbeiten von zu Hause allerdings sei gesunken: Im Sommer bewerteten rund 75 Prozent diese Option als positiv, nun sind es 66 Prozent. Auch bei Freizeitaktivitäten gaben viele Menschen an, sich unwohl zu fühlen. Dies sei besonders bei Treffen mit Freunden, Verwandten oder Bekannten der Fall. Aufgrund des Lockdowns haben 37 Prozent in den letzten sieben Tagen draußen keine Freizeitaktivitäten mehr unternommen. 63 Prozent sind mindestens ein Mal rausgegangen – häufig für einen Spaziergang oder für Sport im Freien.

Routinen schleifen sich neu ein - und falsch

Mobilitätsentscheidungen würden nicht jeden Tag neu gefällt, so die Forscher. Das Verhalten der Menschen sei vielmehr durch Routinen geprägt, die selbst in der Krise eine hohe Stabilität aufweisen. So seien während des Lockdowns im Frühjahr nicht beliebige Personen auf die beiden individuell nutzbaren, angesichts des Ansteckungsrisikos im öffentlichen Raum sicheren Verkehrsmittel Fahrrad und privates Auto umgestiegen.

"Es waren vor allem Menschen, bei denen diese Verkehrsmittel bereits vor der Ausbreitung des Corona-Virus einen Stellenwert in den Alltagsmobilität hatten", so die Feststellung.

Gleichwohl wiesen die Routinen der Menschen Unterschiede im Jahresverlauf auf. So fahren die Menschen im Sommer im Durchschnitt mehr mit dem Fahrrad. Im Winter werden vermehrt der öffentliche Verkehr und das private Auto genutzt. Eine Veränderung bei der Zugehörigkeit zu Modalgruppen sei daher erwartbar gewesen. Die Verschiebung zwischen den Gruppen im Herbst 2020 gegenüber dem Sommer entspreche jedoch nur Teilen dem jahreszeitlichen Muster.

Corona-Faktor: Ausschließliche Nutzung von Auto und Rad legt zu

Im normalen Alltag vor Ausbruch des Corona-Virus hat die Hälfte der Befragten ausschließlich das Auto genutzt. Während des Lockdowns hat diese Verhaltensweise einen deutlichen Schub erhalten. Auch die kleine Gruppe der Alltagsradlerinnen und -radler ist in dieser Zeit um die Hälfte angewachsen. An Bedeutung verloren hatten dagegen die ausschließliche Nutzung des ÖV und multimodales Verhalten. Ende Juni/ Anfang Juli entsprach das Bild zu weiten Teilen wieder der Ausgangssituation. Der Anteil monomodaler Autonutzung lag jedoch noch fünf Prozentpunkte über dem Ausgangswert. Die Gruppe der ÖV-Nutzerinnen und -Nutzer habe nur bedingt zum normalen Alltag zurückgefunden.

Mehr als üblich monomodal unterwegs

In der aktuellen Erhebung zeigten sich folgende Besonderheiten, so die Forscher weiter: Die Zunahme des Anteils monomodaler Autofahrerinnen und Autofahrer übersteigt den normalen jahreszeitlichen Anstieg. Dagegen bleibt die monomodale Nutzung des ÖV – entgegen dem sonst üblichen jahreszeitlichen Anstieg – auf niedrigem Niveau und nimmt sogar um einen Prozentpunkt ab. Entsprechend niedrig ist auch der Anteil multimodaler Personen. Einzig der Anteil fahrradfahrender Personen entspricht dem normalen Wert. In der anhaltenden Krise kommt es damit zur weiteren Verfestigung von Routinen der Autonutzung, so die Feststellung.

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