Fahrbericht Nio ET 5 Touring: Erster!
Schöne Premiumkombis der Mittelklasse heißen A4 Avant, 3er Touring, C-Klasse T, oder V60, nur: Elektrisch gibt es keinen von denen – intern stehen sogar diese EU-Topseller immer wieder auf der Kippe, denn der Kombimarkt existiere eigentlich nur in Europa und auch dort nur im Norden, heißt: Skandinavien, UK und im deutschen Sprachraum. Umso mutiger von Nio, für diese „kleine“ Zielgruppe den ET5 extra auch als Kombi aufzulegen, womit der ET5 Touring nach dem eher kompakten MG5 der zweite Elektrokombi überhaupt ist und der erste der Premium-Mittelklasse. Mittlerweile folgen Opel, Peugeot und auch BMW hat einen i5 Touring angekündigt.
Wir hatten Gelegenheit den ET 5 Tourer ausgiebig über unsere Handlingstrecke zu prügeln und waren insofern wenig überrascht, als er sich bis auf den variablen Laderaum praktisch nicht vom Standard-ET 5 unterscheidet. Heißt: Saubere Verarbeitung bis hin in die feinen Fugenverläufe, reduzierte elegante Optik und ein ordentliches Fahrverhalten: Auf dem kurvigen und welligen Stück nach Kloster Schäftlarn fahrwerkt der ET5 Touring die groben Verwerfungen der Straße gut weg und auch harte Querfugen dringen nur dezent zu den Passagieren durch. Die Lenkung gibt sich ausreichend direkt und man wundert sich immer wieder, warum Nio das durch ein so großes, leicht eckiges Lenkrad etwas konterkariert. Denn Fahrdynamiker wie ein 3er BMW oder Teslas Model 3 will der ET 5 Touring keiner sein, von seinen Anlagen her hätte er aber das Zeug dazu.
Jede Menge Power aus zwei Antrieben
Was uns mehr stört ist aber auch hier das zunehmende nervös-werden bei hohen Autobahntempi: Denn mit bis zu 490 PS und 700 Nm kann sich der Schönling binnen vier Sekunden auf 100 km/h schießen und wäre prädestiniert für zügige Autobahnfahrten - zumal er bis 200 km/h „offen“ ist. Aber trotz aufwändiger Fünflenkerführungen vorn und hinten will jenseits der 150 km/h keine rechte Freude mehr aufkommen – wenngleich er hier etwas knackiger liegt als ET7 und EL7, mit denen er sich die gleiche Grundabstimmung teilt.
Nomi kann immer noch nerven
Und weil wir schon am kritteln sind, müssen wir auch hier feststellen: Nomi nervt! Zwar ist sie nicht mehr ganz so empfindlich wie bei den ersten Versionen des ET7, als sie permanent zur Aufmerksamkeit mahnte, nur weil man den Blick einigermaßen starr auf die ereignislose Autobahn vor sich richtete. Deshalb deaktiviert man am besten vor jeder Fahrt so viel Assistenzgeqautsche wie möglich. Vor jeder Fahrt, da der Gesetzgeber ein dauerhaftes Abschalten verbietet…
Doch dann hat man fun: Vorn freut man sich an den großzügigen klimatisierten Sitzen mit merklicher Massagefunktion und dem reduzierten, aber schick gestalteten Interieur. Durch das 1,35 Quadratmeter große Glasdach kann man sich besonnen lassen und das nur 2023 verfügbare „sunlight gold“ ist endlich mal wieder eine mutige und fröhliche echte Farbe. Danke dafür!
Kombispezifisch mitgedacht
Im Gegensatz zum Standard-ET 5 gibt es auch im Fond genug Kopffreiheit und im Heck eher klassenüblich dezente aber edel ausgeschlagene 450 Liter Kofferraum, die sich durch umklappen der dreiteiligen Lehne auf bis zu 1247 Liter erweitern lassen. Wer Ski im Auto mitnehmen will, klappt einfach nur den schmalen Mittelteil um – klappt! Und nachts hilft die Gepäckraumleuchte, die sich auch als Taschenlampe aus der Halterung nehmen lässt. Fein, dass Nio hier solche Details mitgedacht hat.
Und auch die Dach- und Anhängelast wurde nicht vergessen: Die Dachrehling trägt bis zu 75 Kilogramm und man darf bis zu 1,4 Tonnen anhängen. Und kann dann die dann schrumpfende Reichweite per „Anhängerprogramm“ verlängern. Das ist zwar dann so ziemlich das Gegenteil von „Sport+“ und versucht, die Bärenkräfte der Antriebe so dezent wie möglich zu verwalten. Aber auch hier wurde mitgedacht.
Die beiden Antriebe der mittlerweile zweiten Generation, die deutlich kompakter bauen als im ET7, stellen vorn per Induktionsmotor 150 kW und hinten per Permanentmagnetmotor 210 kW zur Verfügung, was selbst im Eco-Mode immer für ein sattes Polster sorgt. Beim Verbrauch spürt man die Fortschritte ebenfalls: Gut klimatisiert und freudig bewegt mit einem Stück Autobahn, kamen wir am Ende auf 20,6 kWh/100 kWh netto, das sind etwa 22,7 kWh/100 km brutto, was für das Gebotene in Ordnung geht. Trotzdem wurde uns auch eine weniger performante Long-Range-Version mit nur einem Antrieb und mehr Reichweite reichen. Immerhin sind so mit dem (teuren) 100 kWh-Akku gute 400 Kilometer echte Reichweite drin. Und wer sich dann an der mittlerweile eher dezenten DC-Ladeleistung von 140 kW max stört, könnte den Akku einfach tauschen – hier bemüht sich Nio um einen Ausbau der „Swapping-Stations“, von denen es aktuell (Stand Oktober 2023) sieben in Deutschland gibt, während man die Niederlande schon fast flächendeckend versorgt hat.
Akku? Ist (zu) teuer und wird gern separat vertrieben.
Aktuell lohnt es sich, den Akku separat hinzuzubuchen, denn Battery-as-a-Service (BaaS) User zahlen bis Ende 2023 keine Gebühr für den Batteriewechsel sowie keine Stromkosten an den Nio-eigenen Power Swap Stations. Auch nach Ende der Aktion darf man weiterhin 2 Battery Swaps monatlich ohne Servicegebühr durchführen. Womit wir einen Blick auf die Kosten werfen: Man kann den ET5 Touring im Subscription-Modell ab einem Monat Laufzeit „mieten“ oder kaufen. Für Ersteres braucht man einen Zugang weshalb wir hier von den Kaufpreisen ausgehen. Die starten bei wohlfeilen 47.500 Euro brutto ohne Akku. Der 75-kWh Akku kostet 12.000 Euro extra, der große 100er-Akku 21.000 Euro. Oder man nimmt den Akku im Abo, dann werden 169 respektive 289 Euro extra fällig, womit das Ganze dann so wohlfeil leider nicht mehr ist. Vorteil: Sollte es neue und bessere Akkus geben, kann man den ET5 auch in zehn Jahren noch damit „aufrüsten“! Kostet halt. Auch unser Sunglow gelb kostet extra, ebenso wie das Kunstleder, dem wir Microfaserstoff vorziehen würden.
Womit sich der ET5 Tourer am Ende preislich – aber eben auch leistungsseitig eher neben einen halbwegs vergleichbaren BMW i4 M50 als neben den i4 35i oder das neue Tesla Model 3 stellt. Und leider auch preislich klar macht, dass er nicht nur der erste Mittelklassekombi, sondern eben der erste Premium-Mittelklassekombi ist.
Was bedeutet das?
Der ET 5 Tourer punktet mit Power, Praktikabilität und Eleganz. Dürfte für viele aber eine Idee zu teuer sein, um als Newcomer die ganz große Fangemeinde für sich zu begeistern. Seine Schwächen kann man ihm aberziehen: das Fahrwerk kann man straffen, die digitalen Helfer leiser programmieren und im Infotainment-Menü noch etwas aufräumen. Denn die Hardware passt: der ET 5 Tourer macht keinen Hehl aus seiner Berufung, ein eleganter Premiumkombi sein zu wollen, wie ihn Nordeuropäer so lieben…