Die IAA nutzte auch Voyah, um in respektive hinter den fünf Höfen eine Probefahrt mit dem „Free“ anzubieten. Dort erwartete uns bereits Dr. Daniel Kirchert, einst bei BMW und dann beim Start-up Byton, dass kurz vor der Serienproduktion doch noch aufgeben musste. Kirchert nahm es demütig als „Lehrgeld“ an und überraschte auch sonst mit dezenter Bescheidenheit und fließendem chinesisch. Und begleitet uns auf unserer Testfahrt, für die er sich eine gute Stunde Zeit nimmt.
Start in der Schweiz - mitsamt aufwändiger Logistik und Ersatzteillager
Erster Eindruck: Optik, Haptik, Qualität: Passt! Man soll ja nicht vergleichen, aber die Front wurde mit einer Prise Maserati gewürzt, dazu komplex gestaltete Flanken und ein elegantes Heck plus Vielspeichenräder – das macht optisch was her. Der gute Eindruck setzt sich innen fort: Dort sitzt man auf hochwertigem Leder und blickt auf eine elegant integrierte Screenwand – alles gut gemacht und ohne anzuecken. Man findet auch sofort die passende Sitzposition und wir strömen los.
Und fragen Kirchert gleich nach den Plänen für die Markteinführung. Und der bleibt bescheiden: man wolle langsam beginnen, in kleinen Märkten wie der Schweiz, um gleichzeitig Ersatzteil- und Händlernetz mitziehen zu können – seiner Meinung nach ein Hauptproblem vieler chinesischer Start-ups. Denn wenn man dort auf eine 12-Volt-Starterbatterie oder einen neuen Stoßfänger mehrere Wochen warten müsse, sei das für den Kunden inakzeptabel, weshalb er schon das Voyah-(und Dongfeng-)Zentrallager für Europa mit plant. Das spätestens dann stehen muss, wenn die größeren Stückzahlen kommen. Für die Logistik arbeitet man mit dem renommierten Schweizer Transportunternehmen Galliker zusammen, das in der Schweiz zu den großen Namen gehört.
Cockpit mit zwei Höhenniveaus
Das Cockpit präsentiert sich übersichtlich, und „erwacht“ beim Start: dann hebt es sich um einige Zentimeter an. Und kann, falls einem das zu massiv baut, auch wieder um diese Höhe abgesenkt werden, wie uns Kirchert demonstriert. Kann man machen, muss aber nicht sein. Viel wichtiger ist uns die gute Sitzposition und viel Platz auch im Fond, der dank reichlich 2,96 Meter Radstand gegeben ist. Und da der „Free“ eher zu den „aufrechten“ Charakteren gehört, bleibt über allen viel Plätzen viel „Freiheit“, auch wenn vorn große Passagiere thronen. Der Kofferraum? Offiziell 560 Liter bis 1.320 Liter groß, erweiterbar, dazu kommt ein 72 Liter fassender üppig bemessener Frunk. Wobei uns diese Werte so real und dezent gemessen erscheinen wie Kircherts Auftreten. Womit sich der Free neben Xpeng G9, Nio ET7, BMW iX oder Mercedes-Benz EQE SUV nicht verstecken braucht. Auch nicht mit seinen maximal zwei Tonnen Anhängelast.
Zwei E-Maschinen an den Achsen machen bis zu 360 kW (in alter Währung 489 PS) und bis zu 720 Nm locker, auch das passt! Sanft überflauscht der 2,3-Tonner auch grobe Unebenheiten, die Lenkung bietet genug Rückmeldung, wenngleich ihm sportliche Allüren fremd sind. Bei höheren Tempi senkt die Luftfederung den „Free“ für bessere Aerodynamik etwas ab und strafft damit auch das Fahrwerk.
Die Assistenten warnen eifrig und erklärt uns Kirchert gleich, wie man einen Teil davon wegschalten kann, was gesetzlich bedingt immer wieder neu geschehen muss – und ja, hier sehe er auch Bedarf, das Warnlevel für Europa etwas zurückzunehmen und zeigt sich einmal mehr als Kenner der kulturellen Unterschiede: In China würde man gerne gewarnt, bei Bedarf auch öfter und immer wieder, während man das in Europa als Bevormundung empfindet. Tun wir auch, zumal wir unseren klassisch britisch grün-beigen Free als perfekten SUV-Butler empfinden, der unserer Meinung nach eben auch zu schweigen hat. Zumal er auch Goodies wie klimatisierte Massagesitze oder eine Parfümbeduftung für die natürlich ionisch gereinigte Luft parat hat.
Bei Bedarf strömt der leise binnen 4,4 Sekunden auf 100 km/h und wird bei 200 km/h abgeregelt. Dann ist es allerdings Essig mit den bis zu 500 Kilometern Reichweite des üppigen 106 kWh-Akkus. Den Verbrauch gibt Voyah mit 20,2 kWh/100 an, womit er nicht zu den aller sparsamsten gehört – auf unserer Innenstadtrunde mit zügigeren Abschnitten waren wir gut klimatisiert mit gut 22 kWh/100 km unterwegs, die Reichweite wurde entsprechend mit rund 470 km angegeben – passt. Im Winter muss man sich wohl eher auf 25 kWh plusminus x einstellen, dann bleiben 400 Kilometer plusminus x übrig.
Noch verbessern will man perspektivisch die Ladeleistung, die DC maximal nur 100 kW beträgt. Das sieht auch Kirchert so und hat auch hier die kulturellen Unterschiede parat: In China sei der Free eher Chauffeurs-SUV und auf Strecken weit unter 200 km unterwegs. Dann habe der Fahrer zwischen den meist im Stau stattfindenden Fahrten auch immer wieder genug Zeit, derweil nachzuladen. 300 km-plus-x-Businesstrips wie in Europa gäbe es eher selten, aber ja – dafür müsse ein Auto dieser Klasse schneller laden können, was angesichts der schieren Akkugröße auch kein Problem sei. Weshalb der Free hier auch mit starker Onboard-Unterhaltung glänzen müsse. Für den Hub von 10 auf 80% Ladestand gibt Voyah aktuell 45 Minuten an…
Bei den Garantien gibt man sich großzügig: Fünf Jahre oder 100.000 Kilometer auf das Auto, acht Jahre oder 160.000 km Kilometer auf den Akku. Auch Hol- und Bringservice sind anfangs sicher sinnvoll so Kirchert. Der Free startet aktuell in der Schweiz ab 69.900 Franken, was schon eher Premium ist.
Was bedeutet das?
Wir kehren mit unserem Premium-Voyah hinter die schicken fünf Höfe zurück und waren angetan vom dezenten ersten aber feinen Auftritt der Marke. Stehen Service und später etwas mehr Ladeleistung zur Verfügung, könnte das Klappen – zumal die Konkurrenz (noch) überschaubar ist. Was auch Kirchert weiß: „Es gibt immer ein Zeitfenster für alles – aber das steht nicht beliebig lang offen“, kennt er die Branche. Weshalb er Voyah noch 2024 auch in weiteren EU-Staaten an den Start bringen möchte. Wir wünschen ihm diesmal viel Glück!