IAA Mobility 2023: BMW zeigt Vision Neue Klasse

Steht BMW-CEO Oliver Zipse am Zenith seines Schaffens? Oder kommt der erst noch? Seine Rede im Münchner „Zenith“, einem Konzertschuppen in einer Ex-Bahnwerkstatt ließ alle Möglichkeiten offen.Steht BMW-CEO Oliver Zipse am Zenith seines Schaffens? Oder kommt der erst noch? Seine Rede im Münchner „Zenith“, einem Konzertschuppen in einer Ex-Bahnwerkstatt ließ alle Möglichkeiten offen.

Großer Auftritt im Zenith: Die neue Klasse von BMW
Großer Auftritt im Zenith: Die neue Klasse von BMW
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Gregor Soller)

„Effortless“, also mühelos, das sei die neue Klasse, mit der BMW nichts weniger will, als ein ganz neues Kapitel in der Unternehmensgeschichte aufschlagen. Und ganz „effortless“, also mühelos präsentierte BMW-CEO Zipse den neuen Markenkern ab 2025, dem bis 2027 sechs weitere Derivate folgen sollen. Seine Mühelosigkeit überraschte uns umso mehr, als Zipse der Elektromobilität noch vor ein paar Tagen verbal reingrätschte: Sie sei nicht der alleinige Heilsbringer:

"Ich halte die politische Vorgabe zum Verbrenner-Aus für fahrlässig"

Das erklärte Zipse einige Tage zuvor noch dem Handelsblatt und argumentierte, dass man sich so nicht „die ganze Breite der Innovationskraft dieser Branche“ zunutze mache. Er fragte im Anschluss:

„Ist es klug, als Kontinent mit einer starken Industrie, aber ohne eigenen Zugang zu essenziellen Batterierohstoffen nur diese eine Technologie zu fördern?"

Und legte noch nach: 

„Aber es ist ein Irrglaube, man müsse nur den Verbrennungsmotor verbieten und der Rest richte sich von allein".

Denn Innovation entstünde seiner Meinung nach durch Anreize und Ziele, allerdings nicht durch Verbote. Die könnten gar zur gesellschaftlichen Spaltung führen, wenn Mobilität für einen Teil der Menschen unerschwinglich werde. Wozu aber auch seine eigenen Produkte beitragen, die in den letzten Jahren tendenziell immer teurer wurden: Aktuell hat die Kernmarke BMW keinen Stromer unter 50.000 Euro im Programm, die Verbrenner starten bei 30.600 Euro. Für viele mittlerweile unerreichbar. Ein anderes Argument, dass nicht von der Hand zu weisen ist: Bei der Abhängigkeit von Rohstoffen mache sich Europa politisch erpressbar. Zipse fragte provokativ:

„Wann ist in Europa die letzte Mine eröffnet worden? Gäbe es dafür überhaupt noch eine Akzeptanz?"

Fahrzeuge mit Verbrenner oder Brennstoffzelle könne man auch in Europa autark bauen. Wobei auch Brennstoffzellenautos Akkus haben und diese Technologie auch bei BMW nur stiefmütterlichst vorangetrieben wird: Mit einer X5-Kleinstserie, die nur für interne Tests an handverlesene Kunden ausgegeben wird.  Er denkt, dass schärfere CO2-Vorgaben auch konventionelle Antriebe klimafreundlicher machen könnten. Er schloss: „Deshalb halte ich die politische Vorgabe zum Verbrenner-Aus für fahrlässig. Eine Exit-Entscheidung ohne gleichzeitige Entry-Strategie."

Seine „Entry-Strategie“ wäre die neue Klasse, die mit großem Brimborium im Münchner Zenith vorgestellt wurde, wobei Zipse hier extremst unkonkret blieb:

„Mobilität ist leben und das wird sich nie ändern“ konstatierte er und sah sich als Teil eines 150.000 Kollegen umfassenden Teams, das etwas voranbringen wolle, die Zukunft gestalten, statt sie abzuwarten. Und mit der neuen Klasse wolle BMW nicht nur ein neues Kapitel der Unternehmensgeschichte eröffnen, sondern in dieser gar ein ganz neues Buch zu schreiben beginnen. Zipse erklärte:

„Der BMW Vision Neue Klasse bündelt unsere Innovationskraft in den zentralen Bereichen Elektrifizierung, Digitalisierung und Zirkularität“

Und er ergänzte:

 „So sind wir der Zukunft zwei Schritte voraus: Mit der Neuen Klasse bringen wir die Mobilität für das nächste Jahrzehnt schon ab 2025 auf die Straße – und führen BMW in eine neue Ära.“

Die „neue Klasse“ hat eine klare, auf das Wesentliche reduzierte Formensprache mit großzügigen Flächen und wenigen markanten Linien – in Realität kommt sie mit dem Recyclingkunststoff und den reduzierten Detailös fast ein bisschen playmobilhaft daher, aber wunderbar entschlackt und durchtrainiert. Charakteristische Merkmale wie die BMW-Niere und der Hofmeisterknick der Seitenfenstergrafik rücken dadurch stärker in den Fokus.

Im Innenraum soll die nächste Generation des BMW iDrive ein einzigartiges digitales Nutzererlebnis bieten, bei dem laut BMW reale und virtuelle Welten miteinander verschmelzen. Der verstärkte Einsatz von Sekundärrohstoffen, eine ressourcenschonende Produktion und ein vollelektrischer Antrieb mit BMW eDrive Technologie der sechsten Generation reduzieren den CO2-Footprint der Neuen Klasse über den gesamten Lebenszyklus der Fahrzeuge. Frank Weber, Mitglied des Vorstands der BMW AG für Entwicklung, gab Zipse die Zahlen an die Hand:

„30 Prozent mehr Reichweite, 30 Prozent schnelleres Laden, 25 Prozent mehr Effizienz – mit der Neuen Klasse springen wir technologisch weit nach vorne und bringen EfficientDynamics in eine neue Dimension. Dasselbe gilt auch für ihr Design: mehr Zukunft geht nicht“

Und Weber ergänzte:

„Mit der Neuen Klasse haben wir das größte Investment in der Unternehmensgeschichte gestartet. Wir schreiben nicht nur das nächste Kapitel von BMW, sondern ein neues Buch. Deshalb ist klar: Die Neue Klasse wird alle Modellgenerationen durchdringen.“

Eine ganz neue (alte) Formensprache für BMW: Klarheit dominiert

Das Exterieurdesign zeigt laut Pressetext Gestaltungselemente, die für die unterschiedlichen Modelle der Neuen Klasse prägend sein werden. Die neue, vollelektrische Fahrzeugarchitektur bietet zudem neue Möglichkeiten der Innenraumgestaltung. Nach Zipse betrat Adrian van Hooydonk, Leiter BMW Group Design die Bühne und erklärte:

„Das Design der Neuen Klasse ist typisch BMW und so progressiv, dass es aussieht, als hätten wir eine Modellgeneration übersprungen.“

Typisch für BMW sind: Kraftvolle Radhäuser, das zurückversetzte Greenhouse und die im „Shark Nose“-Stil weit nach vorn ragende Fahrzeugfront. 21 Zoll große Aerodynamik-Räder sollen das klassische, vom Motorsport inspirierte Kreuzspeichendesign aufgreifen. Der nahezu monolithische Fahrzeugkörper, die starken Einzüge an Front und Heck und die großen Fensterflächen lassen zugleich eine neue Ästhetik entstehen.

Auch interessant: Die helle seidenmatte Lackierung in Joyous bright unterstreicht mit einem subtilen gelben Farbstich die freundliche und zukunftsorientierte Ausstrahlung des BMW Vision Neue Klasse. Einen Kontrast dazu bilden schwarze Seitenschweller und Stoßfänger. Mit einem erhöhten Anteil an Sekundärrohstoffen und einer deutlich verringerten Materialvielfalt sind sie gezielt im Sinne von Zirkularität verbessert. Darüber hinaus trägt ein verbessertes Demontagekonzept dazu bei, das Recycling der Fahrzeuge der Neuen Klasse zu optimieren.

Die Haifischnase: Es bleibt bei Doppelscheinwerfern –naja,  im weitesten Sinne jedenfalls

Markentypischen Designelemente wie die BMW Niere und Doppelscheinwerfer wurden neu interpretiert. Eine Lichtinszenierung mit präziser, dreidimensionaler Animation sorgt dafür, dass die intuitive Interaktion zwischen Mensch und Automobil bereits bei der Annäherung an das Fahrzeug beginnt.

E Ink Elemente im unteren Bereich der Seitenfenster weisen auf die Sensorfläche hin, mit der sich die automatische Türöffnung aktivieren lässt. Innovative Technologie prägt auch die Gestaltung der Heckleuchten: Ihre im 3D-Druckverfahren gefertigten Leuchtelemente werden auf mehrere Ebenen verteilt und gezielt angesteuert, um eine besondere Tiefenwirkung zu entfalten. In Realität werden die günstiger gefertigt werden müssen.

Die nächste Generation des BMW iDrive: Sprechen und wischen statt Drehen und Drücken

Analoge Bedienelemente sind im BMW Vision Neue Klasse auf ein Minimum reduziert. Die Interaktion zwischen Mensch und Automobil erfolgt über das BMW Panoramic Vision, Central Display und Multifunktionstasten am Lenkrad. Dazu kommt die bewährte Sprachsteuerung mit dem BMW Intelligent Personal Assistant. Damit bietet die nächste Generation des BMW iDrive eine moderne Interpretation der markentypischen Fahrerorientierung.

Die Windschutzscheibe als Screen – das kommt!

Ähnlich wie mit dem einst neu eingeführten BMW iDrive Controller auf der Mittelkonsole oder dem BMW Head-Up Display ist die Marke mit dem in der Neuen Klasse erstmals verfügbaren BMW Panoramic Vision nach eigenen Angaben weltweit führend. Es projiziert Informationen in einer ideal auf die Sichtachse des Fahrers abgestimmten Höhe und erstmals über die gesamte Breite der Windschutzscheibe. Diese Innovation wird das weiterentwickelte BMW Head-Up Display in den Serienmodellen der Neuen Klasse ergänzen.

Mit der nächsten Generation des BMW iDrive sorgt die Projektion von Informationen für ein gemeinsames Nutzererlebnis. Fahrerinnen und Fahrer können die auf dem Central Display dargestellten Inhalte mit einer einfachen Geste auf das BMW Panoramic Vision verschieben. Eine abgestimmte Choreografie aus dem Ambientelicht und den Grafikdarstellungen auf dem Central Display und dem BMW Panoramic Vision soll das Nutzererlebnis bereichern, das sich außerdem mit den My Modes individualisieren lässt. Beim Wechsel in den My Mode Sport unterstützen spezifische Anzeigen vor einem gelben Hintergrund das dynamische Fahren.

Das neue BMW iDrive basiert auf einer hochintegrierten Software-Architektur, die Daten über das Fahrerlebnis und das Infotainment sowie aus dem elektronischen Bordnetz des Fahrzeugs und der BMW Cloud zusammenführt.

Wie bei Lancia: Innen dominieren gelbbraune Retro-Textilien

Helle Textilstoffe in Cord sorgen tatsächlich für ein wohnliches Ambiente. Die helle Armaturentafel trägt das im oberen und unteren Bereich abgeflachte Lenkrad sowie das Central Display. Eine Smartphone-Ladeschale und der gläserne gestaltete Gangwahlhebel teilen sich den Platz auf der Mittelkonsole. Die vorderen Sitze sind mit jeweils nur einer Halterung am Boden befestigt, dadurch erhöht sich die Beinfreiheit im Fond, wo die Mitreisenden auf zwei Einzelsitzen ein großzügiges Raumgefühl genießen können. Man darf gespannt sein, ob es die in Serie schafft. Die vollständig dekorchrom- und lederfreie Gestaltung des Innenraums trägt zur Optimierung der CO2-Bilanz im Fertigungsprozess bei.

Montagebeginn 2025 in Ungarn

Mit einer Produktion, die im neu entstehenden Werk in Debrecen vollständig auf die Nutzung von fossilen Energieträgern verzichtet, sowie mit einem deutlich erhöhten Einsatz von CO2-reduziert erzeugten Rohstoffen und Sekundärmaterialien treibt BMW die ressourcenschonende Produktion voran.

Für hohe Energieeffizienz in der Nutzungsphase der Fahrzeuge sorgt neben der Optimierung von Gewicht, Luft- und Rollwiderstand sowie einem intelligenten Wärmemanagement vor allem ihr elektrischer Antrieb mit BMW eDrive Technologie der sechsten Generation.

Neue, effizientere E-Maschinen der sechsten Generation

Der Sprung in der neuen BMW eDrive Technologie umfasst neben hocheffizienten Elektromotoren auch neu entwickelte runde Batteriezellen. Sie weisen eine im Vergleich zu den bisherigen prismatischen Zellen um mehr als 20 Prozent höhere Energiedichte auf. Die BMW eDrive Technologie der sechsten Generation verhilft den Modellen der Neuen Klasse laut BMW zu einer um bis zu 30 Prozent gesteigerten Ladegeschwindigkeit sowie zu einer um ebenfalls bis zu 30 Prozent höheren Reichweite. Die Gesamtfahrzeug-Effizienz wird durch die Summe aller Maßnahmen um bis zu 25 Prozent gesteigert.

Was bedeutet das?

Die neue Klasse repräsentiert laut BMW die ganze Vielfalt an Technologie-Innovationen, mit denen die BMW Group ihre Zukunftsfähigkeit unter Beweis stellt. Der BMW Vision Neue Klasse soll das Signal für den Aufbruch in eine neue Ära der individuellen Mobilität sein, auch wenn sich BMW-CEO Zipse selbst noch nicht ganz so sicher zu sein scheint, ob dieser Aufbruch auch zum Ziel führt.

 

 

Printer Friendly, PDF & Email