Jubiläen in der Sicherheits- und Unfallforschung bei Mercedes-Benz

Vor 60 Jahren führte Mercedes-Benz den ersten Crashtest mit einem Versuchsfahrzeug durch, seit 50 Jahren untersucht man schwere Unfälle, an denen Fahrzeuge der Marke beteiligt sind – Der Autobauer feiert die beiden runden Geburtstage in seiner Sicherheitsforschung, deren wichtige Erkenntnisse in die Konstruktion aller Modelle einfließen.

Über eine entwickelte Software werden die am Unfallfahrzeug erhobenen Daten und Messwerte direkt in eine Datenbank eingegeben sowie verarbeitet. (Foto: Daimler)
Über eine entwickelte Software werden die am Unfallfahrzeug erhobenen Daten und Messwerte direkt in eine Datenbank eingegeben sowie verarbeitet. (Foto: Daimler)
Julian Kral
(erschienen bei Transport von Anna Barbara Brüggmann)

Zwei Jubiläen im Hause Mercedes-Benz auf dem Gebiet der Sicherheitsforschung: Am 10. September 1959 fand der erste Crashtest der Marke statt, dabei ließ man einen Versuchswagen frontal gegen ein festes Hindernis prallen. Das Verhalten von Fahrzeugen und Insassen bei Unfällen soll anhand der Testwagen und Versuchspuppen genauer untersucht werden können.

Auch die sogenannte UFO, die Unfallforschung des Unternehmens, hat im Jahr 2019 runden Geburtstag: Sie wurde im Jahr 1969 gegründet. Unternehmensangaben zufolge haben die Mitarbeiter seitdem insgesamt über 4.700 Verkehrsunfälle untersucht und rekonstruiert.

„Der ganzheitliche Ansatz der Mercedes-Benz Sicherheitsentwicklung verfolgt zwei Ziele, nämlich Unfälle zu vermeiden und Unfallfolgen zu mindern“, so Prof. Rodolfo Schöneburg, Mercedes-Benz Centerleiter Fahrzeugsicherheit, Betriebsfestigkeit und Korrosionsschutz, und fügt hinzu: „Unsere Sicherheitsphilosophie lautet ‚Real Life Safety‘. Das reale Unfallgeschehen ist für uns daher neben Simulationen und Crashversuchen ein wichtiger Aspekt. Entscheidende Erkenntnisse aus der Unfallpraxis liefert unsere Unfallforschung.“

Die Unfallforschung untersucht seit 50 Jahren systematisch Unfälle, so der Hersteller. Es besteht eine Kooperation mit dem Innenministerium von Baden-Württemberg, sodass die Polizei Bescheid gibt, wenn im Umkreis von 200 Kilometern um Sindelfingen nahe Stuttgart ein aktuelles Modell von Mercedes-Benz oder Smart an einem schweren Unfall beteiligt ist. Meist untersuchen Forscher das Unfallfahrzeug in einem ersten Schritt in der Werkstatt. Danach steht ein Besuch des Unfallortes an, um den Hergang des Unfalls zu rekonstruieren. Eine systematische Rekonstruktion der Kollision erfolge laut Unternehmen, wenn alle Informationen vorliegen.

Anschließend werden die Ergebnisse mit den Daten anderer Unfälle verglichen. Dies soll es den Automobilingenieuren ermöglichen, typische Schadensmuster zu erkennen und Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Schutzsysteme zu gewinnen. Die Forscher der UFO-Abteilung erstellen jedoch keine Gutachten, um ihre Neutralität zu bewahren. Auf der Grundlage der UFO-Erkenntnisse wurde beispielsweise die sogenannte Windowbag entwickelt – ein Airbag, der sich bei seitlichem Aufprall wie ein Vorhang entlang der seitlichen Fenster entfaltet und vor allem das Risiko von Kopfverletzungen minimieren soll.

Sicherheit bereits vor dem Crash

Ein weiteres Beispiel: das Insassenschutzsystem Pre-Safe, das bei einer erkannten, unmittelbar bevorstehenden Seitenkollision den betroffenen Insassen bereits vor dem Crash so weit wie möglich weg von der akuten Gefahrenzone bewegen soll. Darüber hinaus sollen die Ergebnisse der Unfallforschung als Basis zur Entwicklung praxisgerechter Prüfverfahren und Normen dienen. Dazu zählt unter anderem der erstmalig im Jahr 1973 durchgeführte Offset-Crashtest. Dieser beruht dem Hersteller zufolge auf der Erkenntnis, dass bei rund drei Viertel aller Frontalkollisionen die Autos nur mit einseitiger Überdeckung der Fahrzeugfronten zusammenprallen.

Lange Zeit zählte der 55-km/h-Frontal-Crashtest mit 40-prozentiger Überdeckung gegen die starre Barriere zu den härtesten Prüfbedingungen für Karosseriestrukturen. Doch die starre Barriere wurde von einer deformierbaren abgelöst, da diese sowie eine nach oben angepasste Testgeschwindigkeit das reale Unfallgeschehen noch besser abbilden. Seit einigen Jahren ist die Mercedes-Benz-Unfallforschung auch in Indien und China vertreten. Mithilfe von AR-Brillen können die Kollegen vor Ort sich direkt und in Echtzeit mit den Mitarbeitern in Sindelfingen austauschen und eine gemeinsame Analyse durchführen.

Unfälle in der Analyse

Unfälle von Mercedes-Benz-Lkw werden seit dem Jahr 1972 von der Nutzfahrzeug-Unfallforschung bei Daimler untersucht. Daraus sollen Maßnahmen sowohl für die aktive als auch die passive Sicherheit abgeleitet werden. Dokumentiert werden alle Informationen zum Unfallhergang, zu den beteiligten Fahrzeugen und zu den Schäden. Darüber hinaus fahnden die Unfallforscher nach Auffälligkeiten etwa in Bezug auf die Häufigkeit von Unfallarten, die Erkennbarkeit bestimmter Ablaufmuster oder die Verletzungen der Unfallbeteiligten.

Aufgrund dieser Analyse ergeben sich nach Angaben des Unternehmens wiederum Änderungsmaßnahmen, die in zukünftige Mercedes-Benz-Anforderungen münden. Als Beispiel nennt der Hersteller in diesem Zusammenhang den Abbiege-Assistenten, der ab Werk für viele Lkw-Modelle auf dem Markt erhältlich ist. Forschungen im Bereich verunfallter Transporter werden vom Unternehmen seit den 70er-Jahren durchgeführt, seit dem Sommer 2015 hat auch Mercedes-Benz Vans eine eigene Unfallforschung. Vom Werk Untertürkheim aus untersuchen die Ingenieure ausgewählte Unfälle, in die Transporter von Mercedes-Benz verwickelt waren.

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