Juristischer Sachverstand treibt den Ausbau der Elektromobilität voran

Neben technischen und wirtschaftlichen Aspekten spielen beim Umbau zur klimafreundlichen Mobilität auch juristische Fragen bis hin zur Gesetzgebung eine nicht unerhebliche Rolle. Mitunter bremsen fehlende juristische und gesetzliche Regelungen etwa bei Lademöglichkeiten im Wohneigentum oder beim Lastmanagement in elektrischen Verteilnetzen den schnellen Fortschritt.

Juristischer Sachverstand treibt den Ausbau der Elektromobilität voran. Foto: VDA.
Juristischer Sachverstand treibt den Ausbau der Elektromobilität voran. Foto: VDA.
Bert Brandenburg

Genau hier setzt die „Fachgruppe Recht“ im Technologieprogramm IKT für Elektromobilität des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) an, die seit 2010 unter der Leitung der Rechtsanwältin Dr. Katharina Boesche arbeitet. Mitglieder dieses offenen Kreises sind nicht nur die Projektteilnehmer des Technologieprogramms, sondern auch weitere Unternehmen der Elektromobilitätswelt, Vertreter der zuständigen Behörden, Verbände und Ministerien. Wertvolle juristische Empfehlungen bis hin zu Gesetzesinitiativen gehen auf die Arbeit dieser Fachgruppe zurück.

Bislang muss der glückliche Besitzer eines neuen Elektromobils damit rechnen, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft seine Begeisterung für die neue Mobilität nicht teilt – und ihm den Einbau eines Ladepunktes verwehrt. Nach aktueller Rechtslage braucht man die Zustimmung dieser Gemeinschaft. Daher ist eine Anpassung des Wohnungseigentums- und des Mietrechts dringend erforderlich, um klar zu regeln, dass Eigentümer wie Mieter einen Anspruch auf die Errichtung eines Ladepunktes haben. Experten halten einen Anteil privater Ladeinfrastruktur von 60 – 85 Prozent gegenüber öffentlichen Ladesäulen für wünschenswert. So knüpfen sich an den für Herbst angekündigten Entwurf des Bundesjustizministeriums hohe Erwartungen. Sollte sich das Gesetzgebungsverfahren allerdings – wie angekündigt – bis Ende 2020 hinziehen, würde der dringend notwendige Aufbau privater Ladeinfrastruktur weiter verzögert.

Ähnlich schwierig gestalten sich die juristischen Fragen beim Lastmanagement. Dringend sind diese Fragen, weil nur ein intelligentes Ladeverhalten die Stromnetze entlasten kann. Würden alle ihr Elektroauto gleichzeitig laden, so ginge das Stromnetz in die Knie. In der Regel wird es dem Elektromobilisten genügen, wenn er sein Fahrzeug über Nacht zu Hause oder tagsüber beim Arbeitgeber laden kann. Benötigt er ausnahmsweise frühzeitig eine gut gefüllte Batterie, sollte er dazu ebenfalls eine Möglichkeit haben. Für beide Zwecke wird er aber nicht dauerhaft die volle Batteriekapazität benötigen – vielmehr kann diese über ein Energiemanagementsystem geregelt werden. Zum Lastmanagement hat die von Boesche geleitete Task Force Lastmanagement dem BMWi Anfang März Handlungsempfehlungen vorgelegt.

Irrungen und Wirrungen bei der Ladesäulenabrechnung
Auch am Beispiel der Abrechnung an Ladesäulen wird schnell klar, wie wichtig die juristische Bewertung, der Austausch und die daraus resultierende Auslegung bestehender Gesetze bis hin zur Anpassung des Rechtsrahmens für die gesamte Elektromobilität sind. So fragte 2010 ein teilnehmendes Unternehmen der gerade gegründeten Fachgruppe Recht, ob nicht das damals gängige Abrechnen nach Zeit gegen die Preisangabenverordnung verstoße, was Rechtsanwältin Boesche bejahte. Die Preisangabenverordnung ist ein altes Preisrecht von 1970, das ein Abrechnen von Energielieferung nach Kilowattstunden (kWh) vorsieht (§ 3). Daneben sind weitere Tarifelemente (Startgebühr, Zeit, Nutzungsgebühr etc.) zulässig.

Doch der Markt entwickelte sich zunächst anders, auch wegen fehlender Messinstrumente. „Da die Abrechnung nach Zeit damals nicht unter das Mess- und Eichrecht fiel, rettete man sich in einen Zeittarif, der teilweise bis heute Bestand hat. Insbesondere sobald eine Roaming-Plattform eingeschaltet ist“, sagt Rechtsanwältin Boesche. Auch die große Eichrechtsnovelle vom 1. Januar 2015 brachte keinen Kurswechsel.

„Angesichts der weiten Verbreitung des Zeittarifs an Ladesäulen gelangten die Eichbehörden der Länder zu der Einschätzung, die Zeit als eine ‚Messgröße bei der Elektrizitätslieferung‘ anzusehen“, vermutet Boesche. Diese Ansicht verkündete die Landeseichdirektion Berlin-Brandenburg auf einem Workshop der Fachgruppe Recht im März 2016. Als Ausweg aus diesem Dilemma wählte die Mehrheit der Elektromobilitätsprovider, die in der Regel mit dem Ladesäulen-Kunden abrechnen, einen neuen Abrechnungsmodus: die Session Fee, bei der ein Pauschalbetrag von beispielsweise vier Euro für einen Wechselstrom- (AC) Ladevorgang und etwa acht Euro für einen Gleichstrom- (DC) Ladevorgang berechnet wird. Zu jener Zeit gab es eben weder konformitätsbewertete AC- noch DC-Messgeräte.

Zeiten-Wende: Pflicht zur Abrechnung nach Kilowattstunden setzt sich durch
Erst zwei Jahre später – bei einem weiteren Workshop der Fachgruppe Recht im Mai 2018 – beendete das Bundeswirtschaftsministerium das Zeitalter der Zeit- und Session Fee-Abrechnung an Ladesäulen. Vorangegangen waren zunehmende Beschwerden von Verbrauchern und Verbraucherschutzverbänden, die das Ministerium zu einer Positionierung aufgrund der geltenden Rechtslage drängten.

Einem Ministeriumsgutachten aus dem August 2018 zufolge sollte die verbreitete Praxis der Session Fee nur noch bis zum 1. April 2019 geduldet werden – und gleichzeitig auf eine Abrechnung nach Kilowattstunden umgestellt werden. Doch schon bald wurde klar, dass der Markt aus technischen Gründen diese optimistische Fristsetzung nicht würde halten können. So verständigte man sich im Januar 2019 darauf, keine neuen Fristen zu nennen. Seitdem ist jeder Ladesäulenbetreiber in Absprache mit kooperierenden Herstellern verpflichtet, den Eichbehörden einen Nachrüstplan vorzulegen.

Im Sommer 2018 kamen die ersten drei konformitätsbewerten AC-Ladesysteme auf den Markt, 2019 folgten weitere elf. Sie alle haben das Verfahren bei einer der Konformitätsbewertungsstellen erfolgreich mit einer Baumusterprüfbescheinigung passiert. Während die Umrüstung von AC-Ladesystemen so in Gang gesetzt wurde, kommt es bei den DC-Ladesäulen noch immer zu Verzögerungen, zum Teil wegen nachträglicher neuer technischer Anforderungen im laufenden Verwaltungsverfahren.

Manche Ladesäulenbetreiber entschieden sich im Kundeninteresse schon früh auch ohne das Umrüstungsgebot für einen kWh-Tarif, der die oftmals vermisste transparente und diskriminierungsfreie Abrechnung von Ladestrom gewährleistet. Dies ist nach Abstimmung mit den zuständigen Landeseichbehörden mit einem sogenannten MID-Zähler bis zur Umrüstung zulässig. Auch hier gibt es allerdings unterschiedliche Rechtsauffassungen unter den Landeseichbehörden.

 

 

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