Runder und grüner denn je!

Rund wie die Reifen selbst soll auch der Material­kreislauf in der Reifenherstellung werden. Wir haben uns bei den einzelnen Herstellern umgesehen und waren erstaunt, wie weit man hier bereits kam.

Continental | Foto: Hersteller
Continental | Foto: Hersteller
Redaktion (allg.)

Die Pneus bleiben schwarz und rund, setzen sich aber künftig ganz anders zusammen. Denn die Ziele der Branche sind ambitioniert: So wollen Continental und Michelin bis 2050 ihre komplette Reifenproduktion auf 100 Prozent nachhaltige Materialien umstellen. Auch Bridgestone plant, japanisch-dezent formuliert, als Unternehmen für nachhaltige Lösungen bis 2050 und darüber hinaus „einen gesellschaftlichen Mehrwert und Kundennutzen zu schaffen“. Michelin präsentierte bereits einen Pkw- und einen Bus-Reifen, die zu 45 beziehungsweise 58 Prozent aus nachhaltigen Materialien bestehen. Beide Reifen sind für den Straßenverkehr zugelassen und verfügen über das gleiche Leistungsniveau wie bereits erhältliche Pneus. Dazu setzen Conti und Michelin so weit wie möglich auf Natur­kautschuk, dazu kommen je nach Hersteller und Reifen recycelter Ruß, Öle (zum Beispiel Sonnenblumenöl und biobasierte Harze) und Silica aus Reisschalen. In den Reifengürteln tut recycelter Stahl Dienst. Doch mit dem gebackenen und gefahrenen Reifen endet die Betrachtung nicht: Am Ende ihres Lebenszyklus sollten die Pneus wieder so weit wie möglich zur Neureifenherstellung wieder-verwendet werden können.

Künftig können über 100 Joghurtbecher oder mehrere PET-Flaschen in Reifen recycelt werden

Um das zu veranschaulichen, haben beide Hersteller auch schon plastische Zahlen vorgelegt: Ab 2024 wird Michelin recyceltes Plastik in Reifen einsetzen. Dank eines komplexen Recyclingverfahrens können in einem Reifen dann bis zu 143 Joghurtbecher und gut zwölf PET-Flaschen verarbeitet werden. Auch Continental arbeitet mit Partnern daran, aus recycelten PET-Flaschen hochwertiges Polyestergarn für ihre Reifen zu gewinnen: Mit der sogenannten „ContiRe.Tex“ entstand daraus eine energieeffi­zientere und umweltfreundlichere Alternative, je nach Reifengröße zwischen neun und 15 PET-Flaschen pro Reifen wiederzuverwenden. Wichtig: Die eingesetzten PET-Flaschen werden ausschließlich aus Regionen bezogen, in denen es keinen geschlossenen Recyclingkreislauf gibt.

Goodyear-Vorführreifen: Von 70 auf 90 Prozent Recyclingmaterial in einem Jahr

Auch Goodyear präsentierte einen Vorführreifen, der sogar schon zu 90 Prozent aus nachhaltigem Material besteht. Er hat alle geltenden behördlichen Tests sowie die internen Tests von Goodyear bestanden. Damit hat Goodyear gegenüber dem im Januar 2022 präsentierten Pneu aus 70 Prozent nachhaltigem Material nochmal eine Schaufel draufgepackt, ist von der Serie aber noch weit entfernt. Die Markteinführung eines solchen Reifens erfordere „eine weitere Zusammenarbeit mit der Zuliefererbasis des Unternehmens, um den Umfang zu ermitteln, der für diese innovativen Materialien erforderlich ist, um solche Reifen in großen Mengen zu produzieren“, heißt es vorsichtig im Pressetext des Unternehmens. Zumal auch Goodyear große Ziele hat: „Wir machen weitere Fortschritte in Richtung unseres Ziels, bis 2030 den ersten Reifen aus 100 Prozent nachhaltigem Material in der Branche einzuführen“, sagte Chris Helsel, Senior Vice President Global Operations und Chief Technology Officer. „Das vergangene Jahr war entscheidend, um dieses Ziel zu erreichen. Wir erforschten neue Technologien und fanden Möglichkeiten für eine weitere Zusammenarbeit, um einen Reifen aus 90 Prozent nachhaltigem Material herzustellen. In diesem Jahr werden wir bereits einen Reifen mit bis zu 70 Prozent nachhaltigem Materialanteil produzieren können.“

Die „Zutaten“ für den „90-Prozenter“ kennt man von Conti oder Michelin, darunter spezielle Arten von Ruß, Sojaöl (um die Gummimischung bei wechselnden Temperaturen flexibel zu halten) und Silica aus Reishülsenabfällen (einem Nebenprodukt der Reisverarbeitung, das oft auf Deponien entsorgt wird). Die Erdöle ersetzt man durch Kiefernharze und auch hier bestehen die Drähte im Reifen aus einem hohen Anteil von Recyclingstahl. Und last but not least nutzt auch Goodyear Polyester aus Ein- und Mehrweg-Flaschen aus Kunststoff. Mittlerweile nutzt Goodyear heute schon für acht Produktlinien und einige Rennreifen Sojaöl. Darüber hinaus hat man den Einsatz von RHA-Kieselsäure nach eigenen Angaben seit 2018 mehr als verdoppelt.

Pirelli achtet auf die Waldbewirtschaftung

Pirelli ist das erste Unter-nehmen weltweit, das eine Reihe von FSC-zertifizierten (Forest Stewardship Council) Reifen entwickelt hat, was man durch ein Label auf den entsprechenden Serien erkennen kann – womit die Nachhaltigkeit bereits in der Kautschuk-Plantage beginnt. Aber auch bei Hankook treibt man das Thema weiter, zumal trotz aller Recyclingbemühungen die Kerneigenschaften der Reifen, nämlich Rollwiderstand, Nass-Grip und Abrollgeräusch, nicht vernachlässigt werden dürfen. Das Ziel wäre der „Triple-A“-Reifen, der bei Rollwiderstand, Nass-Grip und Geräusch Bestwerte schafft. Ist machbar, wie Klaus Krause, Chef des Hankook Tire Europe Technical Center in Hannover, verkündet: „Besonders stolz sind wir darauf, dass wir beispielsweise das EU-Reifenlabel des neuen Hankook Ventus iOn S mit einem A/A/A-Rating ausweisen können. Das entspricht Bestwerten in Sachen Rollwiderstand, Nass-Grip sowie beim Abrollgeräusch.“ Der Hankook Ventus iOn S ist in Größen zwischen 18 und 22 Zoll erhältlich – und im September 2022 schob man gleich den Hankook Winter i*cept iOn nach.

Mit Rollwiderstandslabel A statt B bis zu 30 Kilometer extra Reichweite

Was bringt der Sprung vom Rollwiderstandlabel B auf A in der Praxis? Hankook geht hier davon aus, dass ein Label-A-Reifen gegenüber einem vergleichbaren Pneu mit B-Kennzeichnung zu einem Plus an Reichweite von bis zu 30 Kilometern per Batterieladung beitragen kann. Wie sich die Pneus im Extrembereich verhalten, „erfährt“ Hankook derzeit in der Formel E, wo die neue Rennwagengeneration ebenfalls auf Hankook-iOn-Reifen rollt, die mit den Serienreifen aber vor allem den Namen gemeinsam haben. Und einen ganz entscheidenden Entwicklungsvorteil bieten: Im Rennsport kann man ganz andere Grenzen ausloten als im Seriengeschäft, was wiederum dazu führt, dass man Dinge testen kann und erfährt, die man dann wieder für das Serien­geschäft rückkoppeln kann. Immer öfter werden Reifen auch speziell auf bestimmte Modelle zugeschnitten: So hat Hankook zuletzt für den VW ID. Buzz den Ventus S1 evo3 EV entwickelt. Während für den Transporter ID. Buzz Cargo exklusiv die 18-Zoll-Einstiegsbereifung zur Verfügung steht, kann der Elektro-Bus ID. Buzz darüber hinaus in 21 Zoll geordert werden. In dieser Kombination hat auch der erste Hankook-Premium-Pkw-Reifen mit der „HL“-Lastindexkennung Premiere. Auch hier gilt es, zwei Welten zusammenzubringen: das sehr hohe zulässige Gesamtgewicht und die trotzdem ausgeprägte Fahrdynamik. Ja, die Reifen bleiben zwar schwarz und rund, sind in ihrer Zusammensetzung aber grüner und runder als je zuvor!


Bis spätestens 2050 wollen wir zu 100 Prozent nachhaltige Materialien in unseren Reifenprodukten einsetzen.
Claus Petschick, Leiter Nachhaltigkeit des Reifenbereichs bei Continental

 

Foto: Continental

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