VDA Technischer Kongress 2022: Große Fortschritte beim autonomen Fahren

Es ist eine kleine, aber feine Differenzierung: Automatisiertes meint nicht autonomes Fahren: Ersteres ist der Weg zu Letzterem und da tut sich gerade in Deutschland aktuell jede Menge.

Freute sich, endlich wieder "live" Menschen treffen zu können: Dr. Joachim Bühler, CEO vom TÜV Verband e.V. | Foto: G. Soller
Freute sich, endlich wieder "live" Menschen treffen zu können: Dr. Joachim Bühler, CEO vom TÜV Verband e.V. | Foto: G. Soller
Christine Harttmann
(erschienen bei VISION mobility von Gregor Soller)

Der Technische Kongress in Berlin ist immer ein bisschen Trüffel- respektive Informationssuche im Großstadtwald Berlin. Immer wieder entdeckt man Hinweise auf Trends und Neuigkeiten, die sich im Laufe der Veranstaltung verdichten, als spannende Sidekicks – und manchmal aber auch nur als politisch korrekte, aber eher inhaltsleere Unverbindlichkeit erweisen.

Ganz anders beim Thema autonomen Fahren. Richard Damm, Präsident des Kraftfahrt-Bundesamtes, eröffnete mit den wichtigsten Fakten. So hat Deutschland ein bereits ein Nationales Gesetz zum Thema auf den Weg gebracht, das auch als Blaupause für EU-weite Gesetze dienen könnte. Präzisiert wurde das Ganze am 28.7.2021 zum automatisierten Fahren nach Level 4, wobei man hier drei Level schuf: 1. Begonnen wird mit dem Fahren von Shuttlesystemen, in der Regel in „geschlossenen“ oder besser gesagt klar definierten Arealen, 2. Das Fahren von nachgerüsteten ertüchtigten Fahrzeugen aller Art bevor mit Level 3 dann die bundesweite Fahrzeugerprobung überall starten soll.

Die Gesetz sind verabschiedet, aber man kann noch nicht vollumfänglich agieren. Aber Damm appellierte, dieses Projekt zu unterstützen, sonst hinge man ähnlich wie bei E-Mobilität zurück. Das Ziel müsse es vielmehr sein, hier weltweit die Benchmark zu setzen. Nach dem Inkrafttreten hofft Damm auf eine zügige operative Umsetzung, vor allem in definierten Betriebsbereichen, Hub to Hub Services und nicht mehr nur beim autonomen Parken.

Wie das Ganze sicher begleitet und geprüft werden muss, erläuterte Dr. Joachim Bühler, CEO vom TÜV Verband e.V. Er erklärte nochmal:

„Autonomes und automatisiertes Fahren ist ein kleiner aber entscheidender Unterschied!“

Ersteres existiert schon, Letzteres ist das „große Ziel“ in Richtung Unfallfreiheit. Entsprechend hoch sei die Erwartungshaltung: Noch immer sterben täglich zu viele Menschen im Straßenverkehr! Und 90 Prozent der Unfälle gingen auf menschliche Fehler zurück. Aber auch die Technik arbeitet noch nicht fehlerfrei, wie einige teils auch tödliche Unfälle mit autonomen Fahrzeugen - teils trotz überwachendem Fahrer am Steuer für Noteingriffe -  in den USA zeigen. Weshalb Bühler mahnt:

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht menschliche durch technische Fehler ersetzen.“

Interessant sind in dem Zusammenhang auch die jüngsten Umfragen: „Je weiter wir kommen, desto geringer ist das Vertrauen ins autonome Fahren“, erklärt Bühler – und das weltweit.  

Ein ganz neues Thema sind auch die Softwareupdates: Man verändert damit das Auto immer wieder im laufenden Betrieb, wofür Bühler die Leistungssteigerung als extremstes Update wählt und scherzt:

„Heute erhält man über Software eine Leistungssteigerung, für die man früher ewig am Mofa herumschrauben musste und dann hoffte, dass der TÜV-Prüfer die Veränderungen nicht erkennt“.

Deshalb müsse man weg von der punktuellen Prüfung zum Monitoring. Es geht aber nicht nur um Software, denn die braucht neue Hardware wie Sensoren, Lidars oder Kameras. Und plötzlich wird ein Parkrempler, eine teils nachlackierteer Stoßfänger oder ein Riss in der Frontscheibe zum Problem. Um hier exakte Daten zu erhalten, bräuchte es mittelfristig ein digitales Fahrzeugregister und einen auch für die Versicherer rechtssicheren Weg, auf dem die Software aufgespielt wird. Ganz wichtig ist Bühler auch der Ansatz: Erst testen, dann aufspielen. Denn man erkennt aus den Tests in den USA: Jeder einzelne Unfall erweist der Technik einen Bärendienst! Wo man eher softwareseitig denkt und gern die Kunden als Betatester nutzt. Doch hier geht es um Leib und Leben, weshalb Bühler klar fordert: Erst prüfen, dann umsetzen.

Von der Theorie in die Praxis: Wo heute schon autonom gefahren wird

Wie das autonome Fahren bei den Zulieferern weiter entwickelt wird, erklärte im Anschluss Frank Petznick, Leiter des Geschäftsfelds Autonomous Mobility, Mitglied des Automotive Boards, Continental AG. Man komme zwar aus der Hardware stellen aktuell aber fast nur noch Softwarekollegen ein. Interessant sind die Beobachtungen Contis in der Praxis des automatisierten Fahrens: Erstens sei die Durchdringung noch nicht dramatisch groß, und oft würden die piepsenden Syteme auch noch weggeschaltet. Doch sie würden besser und zuverlässiger mit der Entwicklung zu Level drei und vier.

Aktuell skaliert Conti dafür auch Hardware und Sensoren. Es sei laut Petznick ein großer Invest, und eine „gewisse Wette auf Zukunft“, zumal der Return of invest deutlich später kommt. Da braucht es entsprechend auch neue Geschäftsmodelle – weshalb hier auch das Verdienen an Software so wichtig ist. Und dazu brauche es auch Kooperationen. Aktuell sieht Petznick die umsetzbaren Use-Cases (noch) vor allem im Parkhaus und auf der Langstrecke.

Erste Use-Cases in Parkhäusern

Ihm folgte Dr. Eckard Steiger, Director Industrial Cooperations Automated Driving Robert Bosch GmbH. Auch er mahnte Kooperationen an. Und einen starken Software-Background mit starken Zentralrechnern und Cloudservern. Dabei seien die Themen Datenqualität und -sicherheit entscheidend. Entsprechend treibe man die datengetriebene Softwareentwicklung voran und kooperiert bei diversen Praxisanwendungen, zum Beispiel mit Apcoa und Mercedes beim Automated Valet Parking in Stuttgart, während man das in Detroit mit Ford erprobt. Dabei handele es sich um videobasierte Systeme mit Clouddiensten im Hintergrund auch fürs bezahlen. Und: man startet mit vergleichsweise geringen Geschwindigkeiten in einem klar abgegrenzten und definierten Raum. Steiger begrüßt deshalb auch die VDA-Leitinitiative zum Thema, um Grundlagen der Regulierung für Industriestandards zu setzen. Zusammen mit der sogenannten „KI-Projektfamilie“, einem Konsortium aus mehreren Start-ups und Industrieunternehmen investiere man zusammen mit dem Wirtschaftsministerium 250 Millionen Euro ins Thema. Das sei wichtig, dass wir wettbewerbsfähig bleiben und für die Grundlagenforschung und Normierung, wie zum Beispiel der ISO PAS 8800 für Straßenfahrzeuge und künstliche Intelligenz.

Um all die Herausforderungen zu stemmen, seien laut Steiger Partnerschaften sehr wichtig. So könne man Risiken zu teilen, den Invest reduzieren und die Entwicklung beschleunigen. Weitere Mitentwickler hieß er ausdrücklich willkommen.

Was bedeutet das?

Das automatisierte und künftig autonome Fahren nimmt wieder an Fahrt auf – und hier möchte Deutschland weltweiter Taktgeber sein. Nachdem es zwischenzeitlich etwas ruhig wurde um das Thema, schieben jetzt gesetzliche Grundlagen und die jüngsten Entwicklungen das Thema wieder an. Das für einen Hersteller allein allerdings zu komplex ist: Automatisiertes und erst Recht autonomes Fahren braucht starke Kooperationen.

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