Vergleich Kia EV9 und Land Rover Defender 130: Treffen der Kultkanten

Kantige Dreireiher: SUV respektive Geländewagen mit drei Sitzreihen liegen vor allem in den USA im Trend – es gibt sie aber auch in Europa

Luxusproblem in der Tiefgarage: Welcher kantige Dreireiher darf es denn sein? | Foto: G. Soller
Luxusproblem in der Tiefgarage: Welcher kantige Dreireiher darf es denn sein? | Foto: G. Soller
Redaktion (allg.)
(erschienen bei VISION mobility von Gregor Soller)

Wenn man eine Tiefgarage voller Autos hat und wegen Familienzuwachs noch einen schicken dreireihigen Mehrsitzer suchen muss, ist das definitiv ein Luxusproblem. Ein ganz großes im wahrsten Sinne des Wortes. Und da man mit Sportwagen, Hypercars oder Luxuslimos eben nicht alle Kids oder Freunde mitnehmen kann, braucht es eben etwas Praktisches. Aber bitte keinen schnöden Cityvan in Langversion oder einen Transporter – die Praktikabilität darf auch Stil haben.

Kult: Kantige Offroader statt rundgelutscher Vans

Also besser SUV oder Geländewagen. Von denen es seit jüngster Zeit spannende Spielarten gibt. Ortstermin in einer Tiefgarage tief im Münchner Süden, wo zwei dieser praktikablen Siebensitzer zur Wahl stehen, in unterschiedlichem Charakter, aber beide in markant-kantiger Ausprägung. Als erstes flüstert der 283 kW (oder 385 PS) starke und 1,78 Meter hohe Kia EV9 in die Garage: Mit dem von zwei auf 1,9 Meter überklebtem Höhenhinweis hat er keinerlei Probleme, wohl aber mit der teils sonstigen Enge der Garage, in der er vorsichtig in seine „Box“ gezirkelt werden will, an der die Wallbox auf ihn wartet. Mit 22 kW wäre er in fünf Stunden geladen, bei 11 kW sollte man dann schon eher elf Stunden Zeit haben, kann das aber immer hier zu Hause über Nacht tun (sofern seine Ladebuchse und damit die Kommunikation nicht zickt) und dank 800 Volt lädt er auch unterwegs schnell: Binnen 15 Minuten können im Idealfall bis zu 249 Kilometer „nachgezogen“ werden und es kann weitergehen.

Der Defender baut 14 Zentimeter höher und acht Zentimeter länger als der Kia

Jetzt wird es laut: Denn hinter ihm trommelt der 1,92 Meter hohe Defender 130 mit 183 kW (249 PS) starkem Ingenium-Reihensechszylinder die Rampe runter und wir greifen zur Sicherheit nochmal nach oben aufs Dach: Jaaaa, passt, hat noch etwas Luft, läuft! Ohne Reserverad misst er 5,09 Meter (mit 5,36 Meter) lang und ist damit noch länger als der EV9, lässt sich dank kürzerem Radstand (aber auch hier üppige 3,02 Meter) aber etwas leichter durch die Tiefgarage zirkeln, in seine wallboxlose Box, denn der Diesel muss je nach Fahrweise alle 500 bis 700 Kilometer an der Tanke gefüttert werden. Was hier etwas stört: Vielfahrer müssen durchaus auch den AdBlue-Stand im Blick haben, denn der zusätzlich eingespritzte Harnstoff hilft, die Abgase auf Euro-6-Norm zu reinigen.

Alle Kids –in dem Fall tatsächlich eine Fußballmannschaft mit Trainer, sind wieder zu Hause abgeliefert worden. Zeit, für das Skiwochenende zu packen. Auch zu vierzehnt? Nur, wenn man Dachboxen mitnimmt, denn so ganz variabel sind die Innenräume der beiden Riesen dann doch nicht: Beginnen wir beim Kia, dessen hinterste Sitzlehnen immer elektrisch umgelegt oder aufgestellt werden können. Die Reihe davor lässt sich per Federzug nur 60:40 geteilt „fällen“, aufrichten muss man die Lehnen dann seitlich per Hand. Womit klar wird, dass sich die im Fond Sitzenden beim Transport von Skiern schmal machen müssen, da man Reihe drei und zwei teils umlegen muss. Skiausflug deshalb also maximal zu fünft, das letzte Quäntchen Flexibilität lies Kia hier einfach liegen. Immerhin kann man die mittlere Reihe verschieben und die Lehnen in der Neigung verstellen, was auch nötig ist, wenn ganz hinten nicht nur Zwerge mitwollen. In Litern ausgedrückt schafft der Kia 333 bis 2.318 Liter Ladevolumen, der Defender 290 bis 2.291 Liter. Fairerweise gibt Land Rover hier nicht nur die eher sehr optimistischen DIN- und VDA-Werte an.

Der Defender ist grundsätzlich als Achtsitzer angelegt

Ähnlich beim Landy, dem für Reihe drei 34 cm am Heck angehängt wurden, was ihm offroad den Böschungswinkel hinten versaut. Er ist grundsätzlich gar als Achtsitzer angelegt und bietet hinter statt der Heckklappe die seitlich zu öffnende Tür und ebenfalls Schlaufen, wenn man vom Heck aus Reihe drei „fällen“ möchte. Reihe zwei ist auch hier verschiebbar (auch hier wird es ganz hinten sonst eng) und man legt sie seitlich um. Skifahren ginge so aber gut zu sechst, indem man je die mittleren Sitzlehnen flach legt.

Nachdem das erledigt ist können wir los und wie gesagt – trotz mehr Länge lässt sich der im slowakischen Nitra montierte Brite leichter aus der Garage zirkeln, dem kürzeren Radstand sei Dank. Der Kia muss mit seinen 3,10 Meter Radstand im direkten Vergleich immer ein bisschen wie ein Bus erst ein Stück geradeaus und dann ums Eck gewuchtet werden, damit man mit dem Hinterrad oder der hinteren Tür nicht irgendwo hängen bleibt. Doch im Gegensatz zum Landy verlässt er die Garage flüsterleise, wenngleich auch der Brite genug Punch und Souveränität mitbringt, um dezent aus der Tiefe zu dieseln. Der ZF-Achtgangautomat findet immer die richtigen Anschlüsse und aus dem Maschinenraum dringt allenfalls dezent dieselndes Brummen.

Unterwegs fühlen sich beide sehr unterschiedlich an

Über Land legen dann beide zügig zu, wenngleich das Fahrverhalten komplett unterschiedlich ausfällt und sich die gefühlte Größe plötzlich umkehrt: Zwar ist der Defender dem EV9 in Sachen Komfort grundsätzlich viel näher als seinem Vorgänger, bleibt aber deutlich softer als der straffe Kia. Der wegen seiner verbindlichen Abstimmung der jetzt viel kompakter wirkt und sich mit kleinen Schwellen und Unebenheiten deutlich härter tut als Defender, der gern überflauscht aber damit auch deutlich unverbindlicher und jetzt viel größer wirkt als der EV9.

Ab 120 km/h steigt der Energiedurst bei beiden dramatisch an

Der Kraft und Leistung elektrospezifisch natürlich immer auf Abruf aus den E-Maschinen schüttelt, wo der britische Ingenium-Vierzylinder immer erstmal Ladedruck und damit Drehmoment aufbauen muss, was man hier nur im direkten Vergleich spürt, denn grundsätzlich ist der Vierzylinder immer gut bei der Musik. Auf der Autobahn kann man den Kia dann bei Bedarf tatsächlich bis 200 km/h hochziehen, der Landy käme auf 188 km/h, doch wirklich leise, souverän und mit noch gemäßigtem Energiedurst bewegt man beide bei 120 bis 130 km/h.

Offroadprogramme haben beide, aber …

Im Skigebiet sollte die Hütte für den Kia dann nicht zu unerreichbar hoch liegen: Zwar hat er neben dem Allrad auch diverse Unterprogramme, um die Radkraft zu erhöhen und mit verschiedenen Untergründen wie Sand oder Matsch besser fertig zu werden. Und auch seine Böschungswinkel sind dank der kurzen Überhänge gar nicht so schlecht. Aber wenn es um den Rampenwinkel zwischen den Achsen, die Bodenfreiheit und die Möglichkeit geht, Differenziale auch zu sperren, ist ihm der Landy überlegen: Auch er hat seine Kompetenz der Einfachheit halber in Offroad-Fahrprogrammen zusammengefasst, doch „Gravel“ oder „Mud“ werden hier ungleich aufwändiger interpretiert, gesperrt und umgesetzt als beim Kia. Sodass man notfalls wilde Waldwege oder Furten bergan oder bergab klettern kann, die man mit dem Kia besser bleiben lässt. Zumal der Defender, in Standardeinstellung schon 21 cm Bodenfreiheit bietend (offroad lässt sich die um 8 cm anheben) , auch bis zu 90 cm tiefe Wasserdurchquerungen nicht scheut, wo es dem EV9 schon längst nass reingeht. Es kommt also hier auch drauf an, wie weit der Mannschaftstransporter kommen soll. Sonst wäre ein elektrischer Peugeot e-5008 wahrscheinlich die viel sinnvollere und auch gar nicht so unstylishe Lösung, doch an den kantigen Kultstatus unserer beiden Charakterköpfe reicht er nicht ran. Anhängen wollen Sie auch noch was? Okay, der Defender darf gebremst bis zu 3.000 kg ziehen, der Kia für E-Autos starke 2.500 kg.

Der Kia startet preislich deutlich günstiger

Doch den Kult ihres kantigen Auftritts lassen sie sich auch bezahlen und das nicht nur in der Preisliste, auch bei Gewicht und Verbrauch: Der Land Rover kostet ab 89.500 Euro brutto bringt als Achtsitzer mindestens 2.666 kg auf die Waage, der Kia, der als Allrad ab 76.490 Euro startet, deren 2.749. Und beim Verbrauch gelten auch in dieser Fahrzeugkategorie Grenzen, bei denen sich Vernunft von Unvernunft trennt, die bei 10 l/100 km Diesel oder 30 kWh/100 km Strom liegen. Beide kann man gaaanz knapp mit weniger bewegen, wenn man einen gaaanz zarten Fahrpedalfuß hat, in der Regel tendiert der Landy aber zu 12 Liter plus x und der Kia Richtung 32 kWh/100 km…womit die grundsätzliche Krux geklärt wäre: Könnte man beide vom Package her so schrumpfen, dass sie kleiner und leichter wären, wäre das toll. Weshalb Kia am EV7 und Land Rover an einem Baby Defender arbeitet, allerdings werden beide wohl nur als Fünfsitzer kommen. Falls in der Garage noch Platz wäre?

Was bedeutet das?

Es sind raue Zeiten: Toyota Landcruiser, Land Rover Defender, Mercedes-Benz G oder jetzt auch Kia EV9 zeigen: Das weichgespülte SUV wird mehr und mehr von kantigen, martialischen Offroadern abgelöst, falls man doch mal in die Walachei fliehen muss. Ein für die Umwelt zweischneidiger Trend, denn Kanten kosten Energie, dafür haben solche Fahrzeuge meist eine sehr lange Halte- und Lebensdauer und werden nach Ablauf des Geschäftsleasings gern in die private Familiengarage überführt. Der Kia ist klar das modernere aber weniger offroadtaugliche Konzept – aber auch der Defender wird elektrisch kommen, allerdings nicht als 130er. Den gibt es nicht mal als Plug-in...Drei Sitzreihen machen grundsätzlich Sinn, aber man hat die einst auch auf deutlich weniger Verkehrsfläche untergebracht. Hier wäre eine Rückbesinnung sinnvoll – kultig gestaltet können die Dreireiher ja trotzdem sein.   

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