Zu Besuch bei der ersten Tankstelle der Welt

Menschen, die Maßstäbe setzen

So etwa sah es auch 1888 aus: Adolf Suchy betankt den Nachbau des Benz-Patent-Motorwagens.
So etwa sah es auch 1888 aus: Adolf Suchy betankt den Nachbau des Benz-Patent-Motorwagens.
Redaktion (allg.)

Als Bertha Benz 1888 auf ihrer Pionierfahrt mit dem Patent-Motorwagen der Kraftstoff ausging, blieb ihr nichts anderes übrig, als ins nächste Dorf zu rollen. Die Apotheke, an der sie Leichtbenzin nachtankte, gibt es dort heute noch.

Die erste Tankstelle der Welt findet man heute in einer Fußgängerzone. Die verkehrsungünstige Lage hat dennoch kaum verhindern können, dass sich der Platz vor der Stadt-Apotheke im nordbadischen Wiesloch mehrmals jeden Sommer mit hunderten Fans der historischen Automobilkultur füllt. Oft ist der Anlass die Nachstellung der berühmten Bertha-Benz-Tankszene des Augustvormittags 1888 durch Jutta und Adolf Suchy, in originalgetreuen Kostümen und mit einem authentischen Replikat des Benz-Patent-Motorwagens. Ein Mitglied der Wieslocher Oldtimer-Szene mimt dabei Bertha Benz, während Adolf die Rolle des Apothekers Willi Ockel übernimmt, der damals mit einer Flasche Ligroin zum ersten Tankwart der Welt wurde. Längst sind die Fotos dieses Schauspiels um die Welt gegangen. Jutta und Adolf Suchy wurden für ihre seit 1984 betriebene Traditionspflege zudem von hoher Stelle belohnt: Das Mercedes-Benz Museum Stuttgart schenkte vor zwei Jahren dem Wieslocher Oldtimerclub den zuvor immer ausgeliehenen Patentwagen.

„Hier ist die Zeit stehen geblieben“, sagt Suchy und öffnet die Tür zum 1966 stillgelegten historischen Verkaufsraum der Apotheke, der sich weitestgehend im Originalzustand von 1888 befindet. Genauso leidenschaftlich, wie er sich um die hölzernen Regale und die tönernen Gefäße kümmert, widmet er sich dem automobilen Kulturgut vergangener Zeiten. Suchy ist Mitglied im Allgemeinen Schnauferl-Club, im Unimog-Club Gaggenau und bei den Freunden historischer Fahrzeuge Wiesloch. Selbst besitzt er neben verschiedenen Oldtimern auch einen Unimog, Baujahr 1951 – „eines der frühen Modelle, noch ohne Stern“, wie er stolz sagt.

Adolf Suchy ist dabei kein Garagensammler, sondern ein „Do-it-yourself-Typ“, der Autos am liebsten auf der Straße sieht. Um zu beweisen, wie gut die frühzeitliche Technologie noch funktioniert, nahm er einmal mit einem Benz-Patent-Motorwagen Victoria von 1896 an der Ausfahrt „London to Brighton Run“ teil, einer Tour für die ältesten Fahrzeuge der Welt. „Dieses Hobby, das oft viel Arbeit ist, betreibe ich seit 30 Jahren. Doch aus den Kontakten zu vielen Teilnehmern der Fahrten sind mittlerweile Freundschaften geworden. Und wenn der ganze Kirchplatz mit Menschen voll steht, dann belohnt dies für alle Mühen“, sagt Suchy.

Bertha-Benz-Fahrt als Höhepunkt
Ihren Höhepunkt finden Suchys Aktivitäten bei der zweijährlichen „Bertha-Benz-Fahrt“, einer Oldtimertour, auf der ausschließlich vor 1935 gebaute Fahrzeuge die Strecke zwischen Mannheim und Pforzheim nachfahren – und sich natürlich vor der Stadt-Apotheke zur nachgestellten Tankszene einfinden. Mit dabei war einmal sogar, neben TV-Teams aus China und Russland, Carl und Bertha Benz’ Urenkelin Jutta. Und trotz der über 30-jährigen Routine gibt es noch heute bei jeder Ligroin-Betankung eine Situation, die sich nicht proben lässt. „Wenn ‚Bertha‘ getankt hat, muss der Wagen sofort laufen“, sagt Suchy. Bis heute ist das Museumsstück allerdings immer angesprungen. Und zur Not würde der gelernte Chemiker und fachkundige Hobbymechaniker Suchy den Patent-Motorwagen schnell selbst reparieren. 

Wenn ‚Bertha‘ getankt hat, muss der Wagen sofort laufen. Bis heute ist das Museumsstück allerdings immer angesprungen.
Adolf Suchy, in der Rolle des „ersten Tankwarts der Welt“

Quelle/Fotos: Mercedes-Benz Omnibusmagazin Ausgabe 1/2017

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